Mixed Feelings: Britischem DJ droht Haftstrafe in Tunesien wegen Gebetsruf-Sample

Türkisches Minarett, fotografiert von Riccio, lizensiert unter CC BY-NC-SA

Verschiedene Medien berichten, dass dem britischen DJ Dax J. eine einjährige Haftstrafe in Tunesien droht, sollte er in das Land einreisen. Hintergrund ist, dass Dax J. Ende März bei einem Festival in Tunesien einen Track spielte, der ein 20-sekündiges Gebetsruf-Sample enthält das Gebtsruf-Sample live in den Track einblendete und  damit remixte. Das sorgte im Publikum, bei den Festivalveranstaltern und Behörden allerdings für gemischte Gefühle: Dax J. wurde dazu aufgefordert, den Track abzubrechen und etwas anderes zu spielen. Das Festival distanzierte sich außerdem von dem DJ. Wegen „Verletzung der guten Sitten“ und Erregung öffentlichen Ärgernisses wurde der Clubmanager in Untersuchungshaft gebracht und der Club bis auf Weiteres geschlossen. Der DJ erhielt auch Morddrohungen von wütenden Fans, befindet sich mittlerweile aber bereits außerhalb Tunesiens. Seinem Tourkalender nach zu urteilen, spielt er zahlreiche internationale Gigs.

Hier ein Video von der betreffenden Szene:

Das hier müsste das corpus delicti sein (ab ca 3:50 geht das Sample los):

Tja, jetzt haben wir den Salat. Das Problem hat glücklicherweise nicht die Ausmaße wie bei Charlie Hebdo vor zwei Jahren. Trotzdem ist es ein lehrreiches Beispiel über das Verhältnis von Religion und Kunst(freiheit), über die Hoheit zur technischen Reproduzierbarkeit von Klang und die symbolische Ebene von Samples. Auf dem Gebetsruf, dem Adhan, liegt sozusagen ein informeller, religiöser Kopierschutz, da er nur von bestimmten Personen und in bestimmter Weise öffentlich aufgeführt werden darf – als Remix oder in Form eines Samples eben nicht, wie dieser Fall zeigt. Der Export der Technokultur mit unbedarftem Sampling und beliebigen Referenzen klappt nicht überall reibungslos, hier stößt die Entwicklung deutlich an religiöse Grenzen. Die Aneignung durch Sampling führt in Deutschland zwar eher zu urheberrechtlichen und monetären Verwicklungen, in manchen muslimischen Ländern gibt es aber eben auch eine (sehr dominante) religiöse Dimension, wer wann welche Klänge reproduzieren darf.

Auch wenn Dax J. sich hier keine Gedanken über religiöses Sample-Clearing gemacht hat, bin ich mir sicher, dass es seiner Karriere nicht schaden wird. Zahlreiche Bekundungen unter seinem kürzlich veröffentlichten Entschuldigung legen nahe, dass seine Anhängerschaft mehrheitlich auf seiner Seite ist und sogar wächst. Bleibt eher zu hoffen, dass dieser Fall nicht zur Verschärfung religiöser Spaltung beiträgt. Morddrohungen etc. gehen natürlich gar nicht! Auch viele westliche Online-Kommentare unter den Videos und an anderen Stellen zeigen das Fehlen von Toleranz, die selbst gerne in anderen Zusammenhängen eingefordert wird. Dass so ein Gebetsruf-Sample religiöse Gefühle verletzt, zu Gefängnisstrafen und Morddrohungen führt, ist mir als weißer Mittelschichts-Berliner mit DJ-Hintergrund auch höchst unverständlich und fremd, aber ich finde, es sollte kein Grund sein, sich über Religion zu stellen oder gar ein ganzes Land als „dreckig“ zu beschimpfen. Damit entlarvt man vor allem Unreflektiertheit in Bezug auf das eigene Verständnis von kultureller Hegemonie.

Lost in the Loop: Bonobo „Kerala“ Musikvideo

bonobo-kerala-stillBonobo hat für den Winter 2017 sein neues Album „Migration“ auf „Ninja Tune“ angekündigt. Dazu gibt’s als erste Auskopplung den Track „Kerala“, freilich mit dem typischen Bonobo™-Sound: gebrochener Rhythmus, warm-weiche Harmonien, mitnehmende Melodie. Hat ’nen ordentlichen 2Step-Touch, ist aber ansonsten ziemlich rund vom Sounddesign. „Kerala“ an sich ist schon sehr gut, aber erst die Verbindung mit dem Video macht das Ganze außergewöhnlich.

Im Video sieht man eine Frau (gespielt von Gemma Arterton), die offenbar eine Panikattacke oder ähnliches erleidet, wobei sie dabei durch London (?) irrt und immer wieder Leute anrempelt. Andere wollen ihr helfen, was sie aber nicht zulässt. Es ist ziemlich klar, dass die Frau vor irgendetwas ziemlich Schiss hat, es wird aber nicht so klar, was genau. Apokalypse? Am Anfang sieht man etwas Brennendes über den Horizont flitzen und an einer Stelle deutet die Frau erschrocken in den Himmel, was Pitchfork zu der Deutung veranlasst hat, sie renne vor einem Meteoriten weg. Es wird aber nicht wirklich aufgelöst, was da genau los ist; der Schlussteil legt aber zumindest nahe, die Lösung im Himmel zu suchen.

Das Video wurde von Bison aus London produziert. Dabei wurde eine Technik angewendet, die ich vorher so noch nicht gesehen habe. Die Videospur läuft nicht konstant durch, sondern ist aus lauter Loops zusammengesetzt, die leicht versetzt aneinander schließen. Die Loops sind dabei an den Takt des Tracks angepasst, wodurch ein eigenartiger Effekt entsteht: die Frau steckt gewissermaßen in ihrem eigenen pyschotischen Loop fest und kommt nicht so recht vorwärts. Die ganze Handlung zieht sich unerträglich wie Kaugummi.

Das Video ist beim ersten Mal extrem anstrengend anzusehen, fand ich. Trotz oder genau deswegen habe ich es mir dann aber mehrere dutzend Male angesehen. Bei den ersten Malen war mein Hirn noch so sehr damit beschäftigt, aus den ganzen Zeit-versetzten Loops ein Gesamtes „herauszusehen“ um die Handlung zu checken – dann aber schärfte sich mein Blick auf die Details, die mir irgendwie komisch vorkamen.

Und wie immer in solchen Fällen der Irritation befrage ich die Kommentare unter dem Video, um herauszufinden, ob es den anderen ähnlich ging. Youtube ist in dieser Hinsicht ja eine sehr ergiebige Plattform. Viele Kommentator:innen beklagten sich über den Schnitt. Manche erinnerten die strange loops an eigene Drogenerfahrungen und/oder Panikattacken: beides recht naheliegend.

Ein Youtuber sammelte mit Hilfe der anderen die seltsamen Stellen:

0:00 – meteor 1:00 – rock levitating 1:50 – building floating, rotating 2:02 – door caves in 2:15 – man in restaurant’s eyes glow 2:27 – tv footage shows the video about 30 seconds into the future flipped horizontally 2:42 – man crossing street duplicates 2:50 – restaurant sign foreshadows building fire 3:03 – car gradually changes color 3:06 – man floating in sky 3:16 – fire in building 3:28 – solar eclipse 3:46 – people standing in a grid pattern, looking up 3:57 – birds take flight (or are they humans?)

Es wird dadurch zwar nicht erklärt, was die ganze Schose soll, aber man gewinnt immerhin ein paar neue Perspektiven. Ich finde die Stelle ab etwa 1:35 Min am intensivsten: man kann förmlich sehen, wie der Vocal-Loop („Yay yay yay yay“, ein Brandy-Sample – danke David und Mo!) deliriale Spiralen in ihrem Kopf dreht, dann plötzlich kickt der Bass rein, der Track hebt ab wie das sich drehende Gebäude im Hintergrund, die Panik steigt in ihr hoch wie überkochende Milch im Topf und alles zusammen lässt sie die Flucht ergreifen, bis sie sich selbst im Fernseher in der Zukunft (?) sieht und meint, nun komplett durchzudrehen. Diese Szene ist schon ziemlich fein gemacht, weil sie das, was eine Panikattacke ausmacht, auch für Außenstehende nachfühlbar macht. Gleichzeitig ist es ein toller Videokommentar auf Loop-basierte Musik. Chapeau!

Was ich auch bemerkenswert finde: innerhalb weniger Stunden tauchten schon Versionen auf, die das Video „reparierten“: die Schnitte – und damit auch die Loops – wurden entfernt, wodurch vielleicht nicht viel erreicht wurde in Bezug auf die Interpretation des Videos. Immerhin wissen wir aber jetzt, dass es nur etwa 2 Minuten Videomaterial war, das verwendet wurde. Und die Video-Reparaturen den Track natürlich zerfetzt haben.

Wie die digitale Remixkultur unser Verständnis von Originalität verändert

Bei iRights.info, dem Webmagazin für „Urheberrecht und kreatives Schaffen in der digitalen Welt“, ist diese Woche ein Text von mir zu Daft Punks „Get Lucky“ erschienen. Anhand zahlreicher Beispiele zeige ich, wie das Lied zum Hit wurde – nämlich durch kreative Kopien. Aus einem wenige Sekunden langen Sample wurden tausende Fan-Remixes geschaffen, die vermutlich die beste Werbung für das Original waren. Wie das genau ablief, kann man bei iRights nachlesen und -hören. Danke an David Pachali für die Redaktion.

Daft Punk - Get Lucky

SampleSlam Contest von OneBeat am 9. Juli 2016 in der Berghain Kantine

onebeat-sample-slam-flyer

Sampling-Contests sind super, vor allem wenn alle Teilnehmerinnen das gleiche Ausgangsmaterial bekommen. Denn kann man am Ende schön vergleichen, was die jeweiligen Künstlerinnen daraus gemacht haben. Die Plattform OneBeat veranstaltet nun auch einen Sampling-Contest, den „SampleSlam“. Hier die Details.

Seid dabei: OneBeat sucht wieder BeatkünstlerInnen, die sich dem Battle stellen wollen! Das Prinzip vom SampleSlam ist einfach: Sechs Kandidaten treten gegeneinander in die Manege. Doch statt Fäusten gibt’s Beats auf die Ohren. Vier Wochen vor dem Slam erhalten sie ein Paket mit Samples, aus dem es gilt, vier Tracks á drei Minuten zu produzieren. Dabei darf kein Fremdmaterial verwendet werden. Am Abend des SampleSlamswerden die Tracks live vor unserer Jury und dem Publikum zum besten gegeben. Denn nur wer die Jury überzeugt, wird das Battle als SiegerIn verlassen. In der Live-Performance ist übrigens alles erlaubt: Ihr könnt singen, beatboxen oder Instrumente einspielen – zeigt uns, was ihr drauf habt!

Ihr wollt dabei sein? Dann schreibt uns eine Nachricht an hello@onebe.at oder via facebook. Helft gerne mit und teilt den Aufruf in Eurem Netzwerk. Tune in!!!

OneBeat SampleSlam @ Kantine am Berghain
Friday, 9.7.2016
20h
RSVP on Facebook 

Die Mutter aller Sampler: Der Fairlight CMI (*1979)

fairlight

Fairlight CMI: Visualisierung eines Klangs

Gestern bin ich via Electronic Beats auf ein Video gestoßen, das ich noch nicht kannte. Es stammt aus dem Jahr 1980 und wurde für das australische Fernsehen produziert. Anlässlich einer Musiktechnologie-Messe, die in diesem Jahr in Sydney veranstaltet wurde, interviewt der Moderator den Ingenieur Peter Vogel. Mit im Bild: eine riesige Apparatur mit Klaviatur und Monitor. Das Trum heißt Fairlight CMI, wobei die Abkürzung für Computer Musical Instrument steht, und ist der erste Synthesizer mit Sampling-Funktion. Das wird in dem Video dann recht schön von Vogel vorgeführt, der den CMI zusammen mit Kim Ryrie für die australische Firma Fairlight entworfen hatte.

So wie sich das bei Electronic Beats – aber auch bspw. bei Wikipedia – liest, stand die Sampling-Funktion bei der Entwicklung allerdings nicht so sehr im Vordergrund, sondern war eher als „Nice-to-have“ gedacht. Der CMI wurde zum Vorläufer für günstigere Sampler, die in den 1980er Jahren dann auch für Normalsterbliche zugänglich wurden.

The Fairlight CMI is the reason why modern sampling exists. Designed in 1979, it was an example of early synthesizer technology which failed in its original purpose—creating sound via realtime waveform modelling—and instead was redeveloped as the first digital sampler. Watch one of its creators, Peter Vogel, explain how it works in this classic slice of music tech development circa 1980.

Oder bei dem technikhistorischen Blog ETHW, das auch eine musikhistorische Abteilung (IEEE) hat:

When the Fairlight was introduced, it was virtually the only digital sampling synthesizer on the market. Its price tag of up to $40,000 made it so expensive that only the largest and best-funded studios or mega-stars could afford it. With the introduction of less expensive digital synthesizers beginning in the mid-1980s, the appeal of the Fairlight began to wane. However, musicians today sometimes seek out an old Fairlight to get access to the programmed samples that were supplied by the factory with new instruments—now they’re “retro.”

Zur Geschichte der Sampler hier ein Beitrag. Noch besser dokumentiert ist die Entwicklung des CMI bei 120years.net, wo es eine ganze Menge Fotos, Videos und Trivia gibt. Unten eine zeitgenössische Reklame für den CMI III. Man findet bei Youtube auch dieses Video von Quincy Jones und Herbie Hancock, die mit dem CMI herumexperimentieren und sichtbar ihre Freude haben:

Fairlight CMI III Reklame