2011 – Das Jahr der Kopie

Vor ziemlich genau einem Jahr ist dieser Blog ins Leben gerufen worden als begleitendes Medium zu meiner Radiosendung auf BLN.FM und meiner Diplomarbeit. Die Radiosendung ist abgeschlossen, die Diplomarbeit in der Vorbereitung. Ein guter Zeitpunkt, um kurz durchzuatmen und ein wenig zu reflektieren.

Fast die Hälfte des Jahres 2011 ist bereits vorangeschritten, doch ich wage schon jetzt eine kleine Prognose: 2011 ist das Jahr der Kopie und des Kopierens. Was sich 2010 bereits andeutete, nämlich das öffentliche und mediale Interesse am Plagiarismus von Bushido und Helene Hegemann, setzt sich 2011 fort. Einen Hattrick in der Wissenschaft haben wir bereits, nämlich mit den Rücknahmen der Doktortitel von Karl-Theodor zu Guttenberg, der einen blonden Frau von der FDP (Silvana Koch-Mehrin) und der einen blonden Tochter von Stoiber (Veronika Saß). Ähem. Die letzten beiden haben sich im Übrigen ganz heimlich, still und leise von ihren gepimpten Klingelschildern verabschiedet – im Gegensatz zu erst genanntem, der einen – man kann es nicht anders nennen – einem Rohrspatzen nicht unwürdigen Abgang hinlegte.

Egal ob Audi für ein internes Video einen Spot von Chrsyler inklusive des Hintergrundtracks „Lose yourself“ von Eminem abkupfert oder in China ganze europäische Dörfer nachgebaut werden: Kopieren ist en vogue. Dabei schwingt ständig ein bösartiger Unterton bei diesem Wort Kopie mit, denn es ist ein böses Wort in unserer heutigen Gesellschaft. Es steht sinnbildlich für mangelnde Kreativität, geringen Arbeitsaufwand, Unselbständigkeit, fehlende Innovation und für das sprichwörtliche „eine Bein im Gefängnis“. Genau das Gegenteil hochgelobter deutscher Tugenden, wie man meinen möchte.

Kopie ist der Gegenbegriff zum Original, die böse Cousine der Kopie heißt Fälschung. Dabei vergisst man jedoch, dass es erstens mit unserem Begriff des Originals auch noch nicht allzu weit her ist und Kopieren zweitens, im Sinne einer perfekt hergestellten und absolut identischen Imitation, gleichermaßen eine hohe Kunst sein kann. Die Tätigkeit des Kopierens an sich ist ja nicht schlecht, erst die soziale Etikettierung („Plagiat“, „sich mit fremden Federn schmücken“, „Nachahmer“) stellt eine Bewertung zwischen Original und Kopie her. Den Unterschied zwischen Original und Kopie machen die Menschen erst seit der Erfindung des Buchdrucks, als es nicht mehr notwendig war, dass Mönche Bücher abschrieben, sondern man die Vorlage des Originals (lateinisch für Ursprung, Entstehung) Eins zu Eins zu Kopien (lateinisch für Menge, Vorrat) replizieren konnte.

Im Übrigen ahmen wir alle ständig nach, es ist nicht nur das Copy & Paste mit der Tastatur: jeden Tag unseres Lebens verbringen wir mit Imitationen der gleichen Handlungen, es ist ein soziales Prinzip (vgl. Gabriel Tarde). Wie hätten wir sonst wohl das Schreiben gelernt oder das Sprechen oder Fotokopieren… nein, mal im Ernst, fast alles von dem, was wir jeden Tag tun, ist Imitation; entweder als Ausführung einer Routine oder als Lernen neuer Tätigkeiten, das Allerwenigste kommt ausschließlich aus uns selbst heraus. Die Neu-Kombination, Neu-Bewertung und Neu-Kontextualisierung des Vorhandenen ist die eigentliche schöpferische Leistung eines jeden einzelen jeden Tag.

Und so scheint es kein Zufall zu sein, dass der theoretischen Reflexion von Kopie und ihrem Verhältnis zur Inspiration auf der diesjährigen DMY besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Eine erste Lecture ist bereits im Internet als Video zu finden:

http://vimeo.com/24770169

Am weisesten hat es wahrscheinlich immer noch Konfuzius (ca. 5 Jahrhundert vor Christus) ausgedrückt:

Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu Handeln:

Erstens durch Nachdenken, das ist das Edelste.

Zweitens durch Nachahmen, das ist das Leichteste.

Und drittens durch Erfahrung, das ist das Bitterste.

Kopie und Inspiration @ DMY International Design Festival, Anfang Juni in Berlin Tempelhof

Wie im Netz zu vernehmen ist, findet vom 1. bis 5. Juni 2011 auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof in Berlin das Internationale Design Festival DMY statt. Schön und gut, was genau hat das jetzt mit diesem Blog zu tun?

Ich verrate es Euch: ein Schwerpunktthema, dem auch ein Symposium gewidmet sein wird, ist das Spannungsverhältnis von Kopie und Imitation im Bereich des Designs. Im Programmheft wird das Thema folgendermaßen umrissen:

„Das Symposium beschäftigt sich mit den zu Grunde liegenden Wertesystemen und ihren Implikationen. Das Konzept des Originals und seine zukünftige Relevanz wird angesichts der gegenwärtig aufkommenden Co-Working und Sharing Praktiken diskutiert. Gleichzeitig werfen wir einen Blick auf die andere Seite und beleuchten die Gründe und Realitäten hinter der Praxis des Kopierens, Imititierens und der Inspiration. Hat Design sich tatsächlich von einer Disziplin, die sich auf nahezu universelle, gesellschaftliche Werte stützte, zu einer Disziplin entwickelt, die allein der Einrichtung einer Status-Gesellschaft dient? Das DMY International Design Festival 2011 bietet Raum für engagierte Diskussionen zu diesem Thema und beleuchtet kontroverse Aspekte des thematischen Komplexes in kuratierten Ausstellungen und Präsentationen.“

Offizielle Homepage

…wie geschnitten Brot: Der Cut-Up

Der Cut, zu deutsch „Schnitt“, ist eine der zentralen Techniken zur Bearbeitung von Videomaterial und damit zur Herstellung von Filmen. Als Cut-Up hingegen bezeichnet man eine spezifischere Sample-Technik, die der Collage nicht unähnlich ist und sich durch scharfe Schnitte und/oder Zufälligkeit der benutzten Samples auszeichnet. Ursprünglich stammt der Cut-Up aus der Literatur der 20er Jahre, als der Franzose Tristan Tzara auf der Bühne mit der Reihenfolge seiner Wörter experimentierte. Er improvisierte in dadaistischer Manier ein Gedicht zusammen, indem er Phrasen und Wörter zufällig aus einem Hut zog und so vorlas. Reaktion des Publikums: nicht bekannt.

Dreißig Jahre später, also zum Ende der 50er Jahre, konnte sich der Cut-Up dann schließlich vor allem durch die Arbeiten von William S. Burroughs (bekannt z. B. von „Naked Lunch“) etablieren, wobei nicht er, sondern sein befeundeter Maler Brion Gysin, als der eigentliche Erfinder gilt:

„Er schnitt auf seinem Arbeitstisch ein Passepartout zurecht, und die Zeitungsseiten, die er als Unterlage benutzte, zerfielen dabei in Streifen. Als er die Streifen in willkürlicher Anordnung auf einen Karton klebte und spaßeshalber versuchte, sie als „intakte“ Seite zu lesen, erlebte er einen eigenartigen Effekt: Es kamen durchaus vollständige Sätze zustande, die teils erheiternden Nonsens enthielten, teils aber auch einen geheimnisvoll verschlüsselten Sinn zu haben schienen.“

Photo Cut-Up von BurroughsMit Hilfe des Cut-Ups ist es also möglich, z. B. Bilder, Fotos, Wörter, Sätze oder auch ganze Texte in ein Verhältnis miteinander zu bringen. Dahinter steckt immer das charakteristische Prinzip der Zerschnipselung und des Neu-Arrangements eines Werkes in willkürlicher oder bewusster Form. Diese Methode lässt sich auch auf andere Medien anwenden, sei es nun Musik, Film oder Fotografie. Die Schnitte werden dabei bewusst scharf gesetzt, was sich im neuen Werk als charakteristisches Stilmittel entsprechend bemerkbar macht. Der Cut-Up ist also eine Sample- und eine Remix-Technik (nicht nur für Erpresserbriefe), die ganz erstaunliche Neuinterpretationen hervorbringt, wie zum Beispiel Pogos Adaption von Disney’s „Up“ namens „Upular“ (man hätte es auch sinnigerweise „Cut UP“ nennen können, aber was solls…)

Die Aleatorik treibt das Prinzips des Cut-Ups dabei auf die Spitze, da hier im gelenkten Zufallsverfahren Samples aus verschiedenen Quellen neu miteinander kombiniert werden. „Product Placements“ von Johannes Kreidler ist genau so Kunstwerk, das automatisiert aus einer Unmenge von Samples mit Hilfe eines Computers zusammengestellt wurde. Urheberrechtliche Konsequenzen und Fragen der Autorschaft inklusive.

In der modernen Musik ist der Cut-Up also eine Form des Remixes, in dem Klänge, Instrumente und vor allem Gesang so wiedergegeben werden, dass es sich scharf geschnitten oder auch „zerhackt“ anhört. Auch eine Methode der kritischen Umdeutung, wie Dsico zeigt:

Dsico – Keep it real, bitch (J.Low Cut-Up)

Besonders interessant wird’s natürlich bei Cut-Ups aus Video und Musik aus verschiedenen Vorlagen wie bei dieser Fleißarbeit von Eclectid Method:

Simpsons Sampling

2010-10-21

Wer die Simpsons kennt, weiß, dass sich die Serie gerne aus allen möglichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Ideen und Inputs verschafft. Springfield ist wohl der Stereotyp eine US-amerikanischen Kleinstadt mit all ihren Abgründen und Neurosen schlechthin. Dort werden reale und aktuelle Probleme und Ereignisse diskutiert, kritisiert, parodiert und ironisiert (wie es zum Beispiel der Aufsehen erregende „Couchgag“ von Banksy tat). Manchmal tauchen auch Gastsprecher auf, die ihren eigenen Charakter als Quasi-Cameo selbst synchronisieren (wie beispielsweise die Boygroup N-Sync).

Daneben werden natürlich auch haufenweise Anleihen, Zitate und Persiflagen aus und auf andere Filmen, Serien und TV-Shows gemacht. Manchmal kommen einem die Szenen so seltsam bekannt vor, kann sie aber nicht richtig zuordnen, weil einem die originale Vorlage gerade nicht zur Hand ist. Die folgenden Internetseite hat 40 Szenen aus den Simpsons genommen, die teilweise Eins-zu-Eins vom Original übernommen, d. h. nachgezeichnet wurden, und sie den Originalszenen gegenübergestellt. Oft wurde auch einfach die Idee einer Szene im Stile des Originals verwendet im Sinne einer Inspiration oder eines indirekten Zitats. Die Frage ist natürlich auch, ob sich hier überhaupt von Sampling sprechen ließe, da ja die Szenen nachgezeichnet und nicht in Originalform übernommen wurden.

http://www.euphoria-magazine.com/lifestyle/36-lifestyle/181-40-movie-scens-that-the-simpsons-used