Doku: „Dramadigs – Musik aus Musik“ von Julia Haase

Screenshot aus der Doku

Letzte Woche wurde ich auf eine sehr tolle kurze Doku namens „Musik aus Musik“ aufmerksam gemacht. Im Rahmen ihrer Masterarbeit an der UdK Berlin hat Julia Haase zusammen mit Christian Limber einen Film gedreht, der das HipHop-Duo Dramadigs bei der Arbeit begleitet. Arbeit heißt in dem Fall: Crate-Diggin‘ auf dem Flohmarkt, Rückzug ins Studio, Auswählen, Sampeln, Choppen, den Beat zusammenbasteln und abschließend den eigenen Text einrappen. Ich finde die Doku auch deshalb so empfehlenswert, weil es im deutschsprachigen Raum im Grunde kaum vergleichbare Filme gibt, die so hautnah an der Produktion eines HipHop-Beats dran sind und die die einzelnen Phasen des Produktionsprozesses dokumentieren. Außerdem sind die beiden Bremer von Dramadigs wirklich sehr sympathische Jungs, denen man gerne bei der Arbeit zuschaut. Im letzten Teil des Films sprechen sie auch über urheberrechtliche Verwicklungen, mit denen sie sich beim Sampeln auseinandersetzen müssen. Sie offenbaren sich dabei nicht komplett: Ein paar Tricks behalten sie auch für sich, beispielsweise die Quellen mancher ihrer Samples und ähnliches, aber das gehört zum „Game“ natürlich auch dazu. Der Film ist veröffentlicht bei Melting Pot Music.

Auf der Bandcamp-Seite von Dramadigs gibt’s auch den aktuellen Release zu kaufen. Check this…

Beitragsbild: Screenshot aus der Doku.

Simon/off – Deep drivin‘ Dubstep aus Graz

Simon/off steht für die Grazer Variante eines deep drivin’ Dubstep, in dessen Zentrum weniger die reine Exegese von Wobble thematisiert, sondern vielmehr und ganz bewusst eine Öffnung der Produktionen hin zu wärmeren, verspielten oder sogar ironischen Elementen angestrebt wird.

Georg Fischer traf Simon/off Mitte Mai im Forum Stadtpark zum Interview und sprach mit ihm über seine musikalische Sozialisation, Graz als Bristol Österreichs und die Narrativität komplexer Rhythmusstrukturen.

 
Das Interview ist ursprünglich erschienen in SKUG, Journal für Musik#87.
Ein Radiofeature mit einem Set von Simon/off wurde bei BLN.FM ausgestrahlt.

Es ist ein entspannt wirkender Simon/off, dem ich Mitte Mai auf der sonnigen Terrasse im Grazer Forum Stadtpark zum Interview gegenüber sitze. Zwischen der Leitung eines Workshops und einem DJ-Set am Abend hat er Zeit für das Interview mit skug gefunden. Im Hintergrund hört man leise den Soundcheck für ein Konzert, das am Abend stattfinden wird. Das Forum, so wird sich im Verlauf des Gespräches herausstellen, ist für Simon/off so eine Art Homebase und für Graz ein wichtiger Knotenpunkt der kulturellen Infrastruktur, werden hier doch Filme gezeigt und ganze Filmfestivals veranstaltet, Workshops und Ausstellungen angeboten und natürlich auch Musik in Form von Konzerten und DJ-Sets gespielt. Viele Angebote des Hauses, das sich als Plattform für Akteure der lokalen, österreichischen und internationalen Kulturproduktion versteht, sind kostenlos und damit natürlich für den Nachwuchs attraktiv, die Lage inmitten des grünen Parks ist zudem einladend.

Simon/off erzählt, dass seine ersten musikalischen Gehversuche mit acht Jahren in collagenartigen Radiosendungen stattfanden, welche er und seine beiden Brüder mit Hilfe eines Tape-Recorders aufnahmen und im Pause-Button-Style zusammenschnitten. Leider sei von diesen Tapes nicht mehr allzu viel übrig, denn »ans Archivieren denkt man ja mit acht, neun Jahren noch nicht«. Ein paar Jahre später formierten sich die drei Brüder zum gemeinsamen Musikprojekt Winterstrand. Simon versuchte sich an Produktionssoftware und analogen Geräten, entdeckte Jungle und Drum’n’Bass aus London für sich und mit ihm auch die DJ-Kultur. Gerade der Einfluss des britischen Basses und die musikalische Bindung zu seinen Brüdern sollten ihm genug Schubkraft verpassen, um sich fortan als Solomusiker einer gleichermaßen flippigen, flächigen wie tief gehenden Variante von Dubstep zu widmen.

Simon, du produzierst als Simon/off Dubstep und bist auch als DJ aktiv. Wie hat sich denn dein Interesse dafür entwickelt?

Simon: Das begann so Mitte der 1990er Jahre, als Drum’n’Bass aus England gerade sehr populär wurde und schließlich auch nach Österreich schwappte. Drum’n’Bass war für mich damals der Sound, der in meinem jungen Clubbergehirn schlichtweg am frischesten daherkam. Irgendwann später, auf jeden Fall mit einem Wahnsinns Delay, haben auch die ersten Promoter in Graz angefangen, diesen Sound zu verbreiten und auch die üblichen Verdächtigen eingeladen, also LTJ Bukem, DJ Hype, Aphrodite, und so weiter. Gleichzeitig war das für mich auch der Start fürs Auflegen und musikalisch eine sehr prägende Ära. Besonders die jazzigen, experimentelleren und auch langsameren Tracks aus West-London, die man dann unter dem Genre »Broken Beat« gefasst hat und die bewusst wieder für etwas Entschleunigung im Drum’n’Bass gesorgt haben, sind sehr einflussreich gewesen in Bezug auf meine heutigen Produktionen. Zum Beispiel die Releases auf dem Label Reinforced von 4Hero oder die Tracks von Seiji um die Jahrtausendwende herum, die waren gezielt gegen das Klischeehafte in der Struktur von Drum’n’Bass gerichtet. Der nächste Schritt war dann 2step, besonders wegen der geshuffelten Beats und der wärmeren Chords, aber das hat in Österreich einfach nicht so recht funktioniert. 2003 hab ich meine erste Tempa gekauft, das müsste die »Tempa Allstars Vol. 1« mit einem Track von DJ Abstract gewesen sein. Zu einer Zeit, in der es für das, was wir heute »Dubstep« nennen, eigentlich noch gar keinen Namen gab. 2005 bin ich dann für einige Zeit nach Berlin gegangen, parallel dazu lief auch noch das Projekt Winterstrand mit meinen beiden Brüdern, das sich zwar immer schwieriger gestaltet hat, weil wir teilweise in drei verschiedenen Städten gewohnt haben. Trotzdem haben wir insgesamt drei Alben und Dutzende Beiträge für Compilations rausgebracht. In Berlin konnte ich mich vor allem mehr auf das Produzieren von DJ-affineren Tracks konzentrieren, weil ich weniger organisatorische Aufgaben erfüllen musste als in Graz, wo ich auch als Promoter gearbeitet habe. In Berlin gab’s dann auch schon einige Parties, auf denen Garage, 2Step, Dubstep und auch Grime im Vordergrund standen. Es war eine schöne Melange vom Sound her, die auch an meine frühere Erfahrungen mit Broken Beat angeschlossen hat. Mich haben auch schon damals besonders diese Tunes interessiert, die zwischen den Stühlen standen, die man lange sucht und die eben als Verbindungsstücke zwischen den Rhythmen oder den Genres oder auch den Geschwindigkeiten fungieren können. Das war immer so ziemlich das Interessanteste für mich.

Das klingt schon sehr nach der Herangehensweise eines DJ’s, der die verschiedenen Stücke mit Tracks, die als Scharniere funktionieren, in eine Kontinuität bringen möchte.

Simon: Ja, diese Kontinuität, die ist wichtig. Auch ein Grund, warum ich angefangen habe zu produzieren, selbst wenn ich mir vor einigen Jahren noch nicht vorstellen konnte, eigene Tracks in meinen DJ-Sets zu spielen. Und jetzt mache ich das eigentlich relativ oft (grinst). Und gerade zurzeit ist es ja extrem spannend, weil sich die verschiedenen Genretraditionen sehr öffnen und geradezu auffächern, man kann eigentlich quer durch alle Bereiche spielen, sogar tempomäßig. Letztens hab ich ein DJ-Set bei in etwa 125 BPM begonnen und dann eine richtige Linie bis Juke gezogen: Zwischendrin können etwa Elektro-808-Bass-Tunes eingebaut werden, die beispielsweise von Swamp81 oder anderen Labels forciert werden, dann vielleicht noch ein paar dieser alten Detroitstücke und schließlich kommt Juke dazu ­­− und all das lässt sich tatsächlich lückenlos verbinden, durch die Genres, durch die Tempi, durch die Atmosphären. Das finde ich momentan schon sehr spannend und irgendwie schade, wenn die Leute in ihren Zwei-Stunden-Sets immer nur bei einem einzigen Tempo bleiben oder einfach bei einem Sound. Als Zuhörer langweilt mich das. Ich glaube, das können nur wenige DJs, mit ähnlichen Tracks oder im gleichen Genre Spannung aufzubauen und zu erhalten. Also, ich bin kein Fan von Acht-Stunden-Techno-Sets (lacht).

Wie würdest du dann selbst deinen Sound beschreiben, den, den du auflegst, und den, den du produzierst?

Simon: »Bassmusic«. Oder ganz einfach »Bass«.

Warum »Bassmusic«? Was findest du gut am Bass oder an diesem Begriff?

Simon: Auf der einen Seite natürlich der physische Aspekt von Bass, nämlich dass man die Musik nicht mehr nur hört, sondern auch spürt, wie sie förmlich unter die Haut geht. Und auf der anderen Seite natürlich auch, weil der Fokus auf den Bass gelegt wird, nicht nur als Zubehör, sondern als zentrales Element. Gerade an der Schnittstelle von House und Dubstep, wie zum Beispiel bei Maurice Donovan …

 … Einem der aktuellen Synonyme von Ramadanman.

Simon: Ja, genau, das ist im Prinzip Chicago-House, auch von der Coveraufmachung, die an Plattencovers aus den 1980ern erinnert. Chicago-House mit einer neuen Basskarosserie unten drunter. Von der Produktion her liegt der Fokus nicht auf der Kickdrum so wie früher, die Kickdrum ist eher dünn. Du hast vielleicht ein Intro mit der Kickdrum auf der Eins und dann kommen die flächigen Sounds, und irgendwann setzt halt der Subbass ein. Da wird die ganze Energie dieser Tracks über die Bässe transportiert. Deswegen Bassmusic. Das ist sicherlich der beste umfassende Begriff, denn diese ganzen Bezeichnungen wie »Future Garage« oder »UK Funky« engen halt doch sehr ein; in meinen DJ-Sets spiele ich ja auch nicht nur einen Style, sondern eben Soundaspekte des ganzen Genres von Bassmusic.

Welche Rolle spielen dann die Rhythmen neben dem Bass?

Simon: Die Beats sind ja von ihrer Architektur her selten Four-to-the-Floor wie beim klassischen Techno, sondern gebrochen, geshuffelt oder sonst wie verschoben. Das erzeugt so einen speziellen Groove, einen richtigen Swing, und wirkt weniger stoisch als diese ganz geraden Beatstrukturen. Dadurch kann man das Verhältnis von Melodie und Rhythmus auch immer wieder neu deuten … und gewinnt so natürlich mehr Freiheit, so ähnlich wie früher bei Broken Beat oder schrägeren Drum’n’Bass-Tracks. Viele der aktuellen Bassmusic-Produktionen haben derart frei programmierte Beats, dass das Erzählhafte fast ausschließlich über die Beats kommt und weniger über die Melodie. Natürlich arbeite ich auch sehr gern mit Melodien, besonders für euphorische Momente, das gehört einfach dazu. Aber vertrackte Beats an der Grenze zum Tanzbaren, das finde ich sehr interessant und man muss auch sehen, dass allein schon die Rhythmen im Club ziemlich gut funktionieren.

Erzähl mir doch ein bisschen was über deine Heimatstadt Graz.

Simon: Was gerade in Graz passiert ist schon sehr schön. Gerade was die Musik betrifft, hat Graz wirklich eine erstaunliche Entwicklung hingelegt in den letzten zehn Jahren, von einer Stadt mit eher provinziellem Flair hin zu einer Stadt, in der du halt die Möglichkeit hast, wirklich sehr frische Sounds zu hören und als DJ auch zu spielen. Sei es von der Seite der Locals, die hier wohnen und Musik machen, sei es von den Gästen her, die nach Graz kommen, um aufzutreten. Und auch vom Publikum her betrachtet, das wirklich sehr offen und neugierig ist auf frische Sounds. Es gibt zwei große Festivals, die mehrere Tage gehen und die jeweils mehrere Tausend Gäste haben, nämlich das »Spring« und das »Elevate«. Das ist für eine kleine Stadt wie Graz mit etwas mehr als 250.000 Einwohnern natürlich schon echt ’ne schicke Sache, muss ich sagen. Wahrscheinlich haben wir hier auch so einen gewissen Underdog-Status. Ein Freund von mir aus Wien, IZC von Dubsquare Records, hat es mal ganz gut auf den Punkt gebracht, als er meinte, dass Graz das Bristol von Österreich sei. Weil wir halt definitiv nicht im Fokus der Medien stehen, auch wenn jetzt die genannten Festivals natürlich einiges an Aufmerksamkeit erzeugen. Aber trotzdem, das Hauptaugenmerk, beispielsweise jetzt von Radiostationen wie FM4, das liegt natürlich nicht auf der Grazer Szene sondern auf anderen Arealen, vor allem Wien. Das wird hier aber gar nicht so sehr als Nachteil betrachtet, man sieht sich eher als kreative Nische im kulturellen Underground. Interessant ist auch, dass wegen der Größe der Stadt auch die Leute, die hier Parties veranstalten, auflegen oder sonst irgendwie in der Grazer Musikszene eingebunden sind, nicht in so einer Konkurrenz zueinander stehen oder sogar gegeneinander arbeiten. Wir haben hier schon einen recht großen gemeinsamen Nenner und profitieren natürlich auch von den musikalischen Synergien.

Sprechen wir noch etwas über deine Produktionen: Welche Rolle spielen Samples und Sampling bei deinen eigenen Tracks?

Simon: Sampling stellt für mich eine wichtige Praxis im Studio dar. Ich sammle ja seit vielen Jahren schon Platten aus allen möglichen Genres, zum Beispiel Reggae, Dub, Jungle und natürlich auch viel Funk, Soul und Jazz, und hab ja auch lange Zeit nur mit Platten gearbeitet. Es ist einfach nach wie vor toll, mit Samples zu spielen, sie zu bearbeiten und auszuprobieren. Ich mag es halt auch einfach zu wissen, wo der Sound herkommt, das ist auch einfach eine musikalische Kompetenz. Auch wenn es natürlich etwas oldschool ist oder sogar nerdig, denn wer fragt denn heute noch danach, welcher Schlagzeugloop von welcher Platte aus welchem Jahr da unter diesem Track liegt − oder sogar von welchem Drummer das eingespielt wurde (lacht). Aber ich halte es nach wie vor für wichtig, Musik im Kontext zu sehen. Zum Beispiel das »Think«-Drumsample von Lyn Collins, das ja auch gerade so seinen dritten oder vierten Frühling erfährt (lacht). Und es geht auch in die andere Richtung: ich habe viele Originalsamples oder musikalische Figuren über Drum’n’Bass und Broken Beat »zurückentdeckt«, indem ich mir das Originalsample dazu rausgesucht hab, um einfach nachvollziehen zu können, wie sich ein bestimmter charakteristischer Sound oder eine musikalische Idee entwickeln konnte. Und doch ist man selbst dann oft überrascht, was alles nicht synthetisch erzeugt wurde. Nimm nur das letzte Album von 2562, das besteht ja laut Promotext nur aus Samples von alten Discoplatten. Das schnallt man aber oft, zumindest beim ersten Anhören, nicht, weil es die Produktionsmethoden und die ganzen Tools mittlerweile möglich machen, überall eine knackige, unverbrauchte Kickdrum rauszuholen.

Was steht in Zukunft bei dir in puncto Veröffentlichungen an? Wird’s auch einmal ein Album geben?

Simon: Nein, das hab ich eigentlich gar nicht auf dem Programm, auch wenn ich vermutlich genügend Material beisammen hätte. Das würde vermutlich einfach keinen Sinn ergeben, man braucht da gerade im Bereich der elektronischen Tanzmusik einen Rahmen, der das Ganze fasst, der die Tracks stimmig zusammenbringt. Bei vielen Künstlern funktioniert das Format Album gut, bei anderen funktioniert es gar nicht, wenn einfach nur die angesammelten Tracks auf sechzig Minuten zusammengeschaufelt werden. Sehr oft, so sehe ich das, wäre der Output auf mehrere Singles besser verteilt gewesen als erzwungen zusammengestaucht auf eine LP. Dann schon lieber ein paar 12″’es für die DJs, ab und zu mal einen DJ-Mix und auch mal einen Gastbeitrag für Compilations, als ein Artistalbum zu machen, das als Album nicht gut funktioniert. Ich freue mich sehr, dass es über den Sommer verteilt einige Releases von mir geben wird. Zum Beispiel auf Phuture Shock, einem Label aus Bristol, dann für die Compilation von HxdB aus Kanada und auch auf B.YRSLF, einem noch recht jungen französischen Label, die auch so eine Mischung aus Juke und Dubstep forcieren, wird es was von mir geben.

Links unten:

www.simonoff.posterous.com

www.soundcloud.com/simon-off

www.forumstadtpark.at

www.disko404.org

www.skug.at

2011 – Das Jahr der Kopie

Vor ziemlich genau einem Jahr ist dieser Blog ins Leben gerufen worden als begleitendes Medium zu meiner Radiosendung auf BLN.FM und meiner Diplomarbeit. Die Radiosendung ist abgeschlossen, die Diplomarbeit in der Vorbereitung. Ein guter Zeitpunkt, um kurz durchzuatmen und ein wenig zu reflektieren.

Fast die Hälfte des Jahres 2011 ist bereits vorangeschritten, doch ich wage schon jetzt eine kleine Prognose: 2011 ist das Jahr der Kopie und des Kopierens. Was sich 2010 bereits andeutete, nämlich das öffentliche und mediale Interesse am Plagiarismus von Bushido und Helene Hegemann, setzt sich 2011 fort. Einen Hattrick in der Wissenschaft haben wir bereits, nämlich mit den Rücknahmen der Doktortitel von Karl-Theodor zu Guttenberg, der einen blonden Frau von der FDP (Silvana Koch-Mehrin) und der einen blonden Tochter von Stoiber (Veronika Saß). Ähem. Die letzten beiden haben sich im Übrigen ganz heimlich, still und leise von ihren gepimpten Klingelschildern verabschiedet – im Gegensatz zu erst genanntem, der einen – man kann es nicht anders nennen – einem Rohrspatzen nicht unwürdigen Abgang hinlegte.

Egal ob Audi für ein internes Video einen Spot von Chrsyler inklusive des Hintergrundtracks „Lose yourself“ von Eminem abkupfert oder in China ganze europäische Dörfer nachgebaut werden: Kopieren ist en vogue. Dabei schwingt ständig ein bösartiger Unterton bei diesem Wort Kopie mit, denn es ist ein böses Wort in unserer heutigen Gesellschaft. Es steht sinnbildlich für mangelnde Kreativität, geringen Arbeitsaufwand, Unselbständigkeit, fehlende Innovation und für das sprichwörtliche „eine Bein im Gefängnis“. Genau das Gegenteil hochgelobter deutscher Tugenden, wie man meinen möchte.

Kopie ist der Gegenbegriff zum Original, die böse Cousine der Kopie heißt Fälschung. Dabei vergisst man jedoch, dass es erstens mit unserem Begriff des Originals auch noch nicht allzu weit her ist und Kopieren zweitens, im Sinne einer perfekt hergestellten und absolut identischen Imitation, gleichermaßen eine hohe Kunst sein kann. Die Tätigkeit des Kopierens an sich ist ja nicht schlecht, erst die soziale Etikettierung („Plagiat“, „sich mit fremden Federn schmücken“, „Nachahmer“) stellt eine Bewertung zwischen Original und Kopie her. Den Unterschied zwischen Original und Kopie machen die Menschen erst seit der Erfindung des Buchdrucks, als es nicht mehr notwendig war, dass Mönche Bücher abschrieben, sondern man die Vorlage des Originals (lateinisch für Ursprung, Entstehung) Eins zu Eins zu Kopien (lateinisch für Menge, Vorrat) replizieren konnte.

Im Übrigen ahmen wir alle ständig nach, es ist nicht nur das Copy & Paste mit der Tastatur: jeden Tag unseres Lebens verbringen wir mit Imitationen der gleichen Handlungen, es ist ein soziales Prinzip (vgl. Gabriel Tarde). Wie hätten wir sonst wohl das Schreiben gelernt oder das Sprechen oder Fotokopieren… nein, mal im Ernst, fast alles von dem, was wir jeden Tag tun, ist Imitation; entweder als Ausführung einer Routine oder als Lernen neuer Tätigkeiten, das Allerwenigste kommt ausschließlich aus uns selbst heraus. Die Neu-Kombination, Neu-Bewertung und Neu-Kontextualisierung des Vorhandenen ist die eigentliche schöpferische Leistung eines jeden einzelen jeden Tag.

Und so scheint es kein Zufall zu sein, dass der theoretischen Reflexion von Kopie und ihrem Verhältnis zur Inspiration auf der diesjährigen DMY besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Eine erste Lecture ist bereits im Internet als Video zu finden:

http://vimeo.com/24770169

Am weisesten hat es wahrscheinlich immer noch Konfuzius (ca. 5 Jahrhundert vor Christus) ausgedrückt:

Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu Handeln:

Erstens durch Nachdenken, das ist das Edelste.

Zweitens durch Nachahmen, das ist das Leichteste.

Und drittens durch Erfahrung, das ist das Bitterste.

Kopie und Inspiration @ DMY International Design Festival, Anfang Juni in Berlin Tempelhof

Wie im Netz zu vernehmen ist, findet vom 1. bis 5. Juni 2011 auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof in Berlin das Internationale Design Festival DMY statt. Schön und gut, was genau hat das jetzt mit diesem Blog zu tun?

Ich verrate es Euch: ein Schwerpunktthema, dem auch ein Symposium gewidmet sein wird, ist das Spannungsverhältnis von Kopie und Imitation im Bereich des Designs. Im Programmheft wird das Thema folgendermaßen umrissen:

„Das Symposium beschäftigt sich mit den zu Grunde liegenden Wertesystemen und ihren Implikationen. Das Konzept des Originals und seine zukünftige Relevanz wird angesichts der gegenwärtig aufkommenden Co-Working und Sharing Praktiken diskutiert. Gleichzeitig werfen wir einen Blick auf die andere Seite und beleuchten die Gründe und Realitäten hinter der Praxis des Kopierens, Imititierens und der Inspiration. Hat Design sich tatsächlich von einer Disziplin, die sich auf nahezu universelle, gesellschaftliche Werte stützte, zu einer Disziplin entwickelt, die allein der Einrichtung einer Status-Gesellschaft dient? Das DMY International Design Festival 2011 bietet Raum für engagierte Diskussionen zu diesem Thema und beleuchtet kontroverse Aspekte des thematischen Komplexes in kuratierten Ausstellungen und Präsentationen.“

Offizielle Homepage

Everything is a Remix Part 2 – Sampling in Filmen

Ahoi hoi,

der zweite Teil der insgesamt vierteiligen und bisher sehr sehenswerten Serie von „Everything is  a Remix“ ist vor ein paar Tagen erschienen. Der Kopf hinter der Serie, der US-amerikanische Regisseur und Autor Kirby Fergusan, lässt diesmal tief in das Referenz- und Zitatsystem Film blicken, das knapp zehnminütige Video ist tight gemacht und hübsch illustriert mit Beispielen:

 

Wie Spiegel Online lustigerweise vor ein paar Tagen meldete, bedienen sich nicht nur Hollywood oder Babelsberg dieser Technik, sondern auch chinesische Fernsehproduzenten, die Szenen aus dem Bomberfilm „Top Gun“ für ein militärisches Propagandavideo übernahmen. Medienübergreifend, sozusagen. Fehlte eigentlich nur noch der Credit im Abspann, und alles wäre fein geworden… Fergusan hat schon Recht mit seiner These vom „Everything is a Remix“:

 

Weitere Videos über’s Sampling übrigens hier.

Und Simpsons Sampling hatten wir hier.

[via cut, copy and paste]

www.everythingisaremix.info