Die Digging-Zeitschrift „Wax Poetics“ ist vor ein paar Jahren in der Versenkung verschwunden. Doch ein Comeback ist in Vorbereitung. Auf ihrer Kickstarter-Page wirbt die Zeitschrift nun für ein Modell mit Mitgliedschaft und jährlichem Beitrag:
Sadly, in 2016 Wax Poetics joined the long list of music publications no longer released on news-stands, continuing only as a print on demand title releasing occasional issues. Now, in a time where quality music journalism is being further diluted, the world needs a return to real music writing and discovery. So next year, under new ownership but still working with the original founders and editorial team, Wax Poetics is reshaping and relaunching. To keep inspiring generations of music lovers. To keep them discovering music and the stories behind it.
Wenn ich das richtig sehe, ist das Projekt bereits finanziert. Mitglied werden kann man sicherlich aber trotzdem noch, the more the merrier. Wer sich für das Konzept interessiert, hier gibt’s auch ein nettes Imagefilmchen dazu:
Für meine Arbeit suche ich derzeit Beispiele für Alben (EPs, Singles, etc.) mit Abbildungen auf dem Cover, die den Auswahlprozess beim Sampling illustrieren beziehungsweise Plattensammlungen zeigen. Offizielle Pressefotos gehen auch, aber am liebsten wären mir tatsächlich cover shots im Studio, Plattenladen, beim Diggin‘, etc.
Ein paar Beispiele habe ich schon, die in die Richtung gehen, wie ich mir das vorstelle, aber ich freue mich natürlich über weitere Hinweise. Gerne in die Kommentare, danke!
Mark B & Blade – Nobody relates / We’ll survive (CD)
Mark B & Blade – Hitman on Fire (Poster?)
2. Update (21.2.2018): Wahnsinn, ich bin echt begeistert. Innerhalb von 2 Tagen sind schon 30 Aufnahmen zusammen gekommen! Großen Dank an alle Beitragenden! Keep it coming! 🙂
Moonboots And Balearic Mike – Originals (Danke David!)
DJ Food – Refried Food Series
Kid Koala – Carpal Tunnel Syndrome (Danke Mr. Binh)
Marco Polo – Baker’s Dozen (Danke Mr. Binh)
DJ Nu-Mark – Hands on (Danke Mr. Binh)
Soundproviders – It’s gonna bee Part II (Danke Mr. Binh)
Seitdem ich in Berlin lebe, frage ich mich, warum so viel Kneipen, Restaurants und Clubs das Alte und Gebrauchte hier so zelebrieren, wie die DDR-Tapete, Omas Geschirr oder auf dem Flohmarkt gefundene Stühle. Diese Vorliebe ist manchmal wirklich bizarr und auch wenn ich mich mittlerweile daran gewöhnt habe, fällt es mir trotzdem hin und wieder auf. Viele Gäste finden offenbar die Patina, die Gebrauchs- und Verfallsspuren der Dinge, irgendwie anziehend. Berlin selbst mit seiner maroden Infrastruktur und seiner generellen Kaputtheit hat daraus irgendwie einen Lifestyle gemacht, der sich gut vermarkten lässt („Berlin Style“).
Aber auch in anderen Bereichen kann man den Hang zum Retro beobachten: Instagram-Filter, Rennräder aus den 1970ern, Filme und Serien, die im Stil des „Golden Age of Hollywood“ (wie „The Artist“) oder im Sciene-Fiction-Stil vor 30 Jahren produziert sind (wie „Stranger Things“). Der Popkritiker Simon Reynolds hat diese Rückwärtsgewandtheit für die Musik beschrieben und das Phänomen mit seiner Diagnose von der „Retromania“ versucht auf den Punkt zu bringen. Sampling und Diggin‘ in the Crates gehören selbstredend dazu: auch hier wird das Alte ja wahnsinnig gefeiert und gesucht.
In diesem Zusammenhang bin ich letztens beim Deutschlandfunk auf einen interessanten Podcast gestoßen, der einen weiten Bogen zur Erklärung anbietet. In der von Thomas Palzer verantworteten Sendung „Patina – die Zukunft der Endlichkeit“ wird bis ins 17. Jahrhundert zurückgegriffen. Damals hatte Patina eine bestimmte soziale Funktion, die sie mit dem Entstehen der kapitalistischen Industriewirtschaft und der modernen Konsumgesellschaft nach und nach verlor. Ursprünglich wurde mit der Patina auf dem Silberbesteck, also den durch Rost entstandenen Verfärbungen, angezeigt, dass sich das Besteck schon lange im Besitz einer Familie befindet. Auf diese Weise konnte familiäre Tradition und Ehrbarkeit ausgewiesen werden, um einen höheren sozialen Stand zu gelangen:
„Im 16. Jahrhundert hätte jemand, um seinen Anspruch auf sozialen Status zu befestigen, silberne Teller verwenden können – neue, ohne Patina. Tatsächlich aber – so McCracken – verwendete man Silbergeschirr mit Patina, denn erst durch die Patina wird von der Familie wortlos geltend gemacht, dass ihr Anspruch auf hohen sozialen Status bereits seit langem besteht.“
Durch den Siegeszug der kapitalistischen Herstellungsweise veränderte sich diese Praxis aber, da das Neue eine Aufwertung erfährt: in Form von Moden, Nachrichten („News“) und immer neuen Produkten, die es zu kaufen gibt. Das Alte verliert an Wert, die Patina steht ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr für Altehrwürdigkeit, sondern für den verschlafenen Trend oder zu wenig Ressourcen für eine Erneuerung. Die Gesellschaft fängt an, verstärkt nach vorne zu sehen und das Neue nicht als Bedrohung, sondern als willkommene Abwechslung zu begreifen:
Das Neue wird zur Droge, die Neuigkeit zum unbedingten Hut der Saison – und mit ihr gewinnt der Journalismus an Bedeutung, der die News zur Ware macht.
„Und währenddessen verliert die Patina dramatisch an Wert.“
Und jetzt die Pointe: Im ästhetischen Kapitalismus, in dem wir uns heute befinden und in dem der Inszenierungswert wichtiger wird als der Gebrauchswert einer Ware, muss manchmal künstlich nachgeholfen werden, um sich von der ständigen Neuheit der konkurrenten Konsumgüter abzugrenzen. Das Alte wird wieder hip und steht nun auf einmal für Authentizität, für das „Ehrliche“. Das beste Beispiele in dem Zusammenhang ist sicherlich der Manufactum-Katalog, der mit Slogan „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ wirbt.
Der Schluss des Podcasts ist mir etwas zu kulturpessimistisch und verklärend:
Wenn Dinge heute mit Patina ausgestattet sind, ist diese immer gefälscht. Patina ist eine Verkaufsstrategie, die banale, bedeutungslose Dinge mit einem Heimweh versieht, das nur so aussieht, als wäre es eines.
Trotzdem, es bleibt eine sehr hörenswerte halbe Stunde, die ich unbedingt empfehle. Ich werde bei Gelegenheit mal darauf zurückkommen und versuchen, die Argumentation von der Patina am Beispiel von Sampling etwas weiterzuführen.
Hier der Link zur Sendung. Super am Deutschlandfunk ist ja auch, dass das Redemanuskript immer zur Verfügung steht, macht bspw. das Durchsuchen leichter. Hier geht es direkt zum Stream:
Screenshot aus dem Tedx-Talk / (c) Bruno Destombes (steht rechts unten im Bild)
Auf dem Vinylfetisch-Blog The Vinyl Factory bin ich auf diesen Talk gestoßen. Der DJ und Plattensammler Alexis Charpentier spricht hier über seine Leidenschaft: das Suchen, Aufspüren und Sammeln von alten, vergessenen und verschollenen Schallplatten. Er umschreibt mehrmals, dass seine Tätigkeit große Nähe zu Archäologen und Archivaren bzw. Kuratoren hat. Auch zu Detektiven, würde ich mal noch ergänzen, je nachdem, wie ernst man das Ganze nimmt. Interessant finde ich zudem, wie er den Zusammenhang zu der Unmenge an digital verfügbarer Musik herstellt und dass es in diesen unübersichtlichen Zeiten Menschen braucht, die aus dem Ozean des Verfügbaren eine Auswahl treffen (z. B. durch DJ-Sets oder Spotify Playlisten, aber auch Re-Issues und Compilations). Charpentier erzählt dabei auch die Geschichte von dem haitianischen Musiker Henri-Pierre Noel, dessen Musik leider untergegangen ist, die aber dank der Digger nun als Re-Issue wieder verfügbar ist.
Was Alexis Charpentier nicht erzählt, ist wie das Re-Issue-Business so abläuft, insbesondere was die Lizensierung der alten Musik betrifft und wie sehr teilweise die wiederaufgelegten Musiker ausgequetscht werden – auf Basis alter und neuer Verträge, in denen beispielsweise Studiomusiker per buy-out die Copyrights an ihren künstlerischen Anteilen entzogen wurden. Zu diesem Thema gibt es bei der Groove gerade einen guten kritischen Artikel, auf den ich in diesem Zusammenhang unbedingt aufmerksam machen will, da er einen differenzierteren Blick auf das Geschäft mit der Aneignung vergessener Musik bietet und nicht nur die weiße Kuratoren-Perspektive bedient. Hier zwei kurze Ausschnitte aus dem Artikel „Black Roots, White Fruits“ von Niklas Fucks:
Oft ist die Rechtslage unklar, das Originallabel lange schon nicht mehr existent, der Lead-Sänger verschollen, die Masterbänder zerstört, die Verträge abgebrannt, die Nachkommen zerstritten oder kaum zu finden. „Manchmal ist man froh, wenn man überhaupt jemanden findet, der einem das Geld abnimmt und idealerweise unterschreibt, dass er die Rechte hat“, gesteht ein Labelbetreiber, der lieber anonym bleiben möchte. Abgesehen davon haben nicht immer die MusikerInnen die Rechte inne, obwohl sie in einer perfekten Welt die Tantiemen verdienen würden. Der bekannteste Fall einer solchen Win-Lose-Situation ist der von Clyde Stubblefield: Der „Funky Drummer“-Schlagzeuger hat nie etwas an seinem legendären Drumbreak verdient, obwohl es sich um die meistgesampelten Takte der Musikgeschichte handelt. Einigen Labels erscheint es so sinnvoller, Bootlegs zu pressen oder die teils recht schwammige Gesetzeslage wie etwa die Verjährung des Urheberrechts 70 Jahre nach dem Tod des Verfassers auszunutzen.
[…]
Es ist nicht zu leugnen, dass die meisten Reissue-Labels von wohlhabenden, oft weißen, nordamerikanischen oder europäischen Männern betrieben werden. Die mögen uns mit ihrer Arbeit zwar allen einen Gefallen tun, aber eben auch die klassischen kolonialen Mechanismen reproduzieren, die bis heute die Weltwirtschaft bestimmen.
David hat mich netterweise auf die Arte-Reihe „Dig it!“ aufmerksam gemacht. Das ist eine Dokumentation, die derzeit aus 16 Teilen besteht. In jeder Folge geht es darum, wie Menschen Musik entdecken, als Crate-Digger, DJs, im Internet oder auf anderen Wegen – und wie das die Musik, die Rezeption und die Produktion verändert. Gleichzeitig lädt die interaktive Website dazu ein, selbst zur Entdeckerin zu werden – durch Links zu Youtube, Spotify oder Soundcloud.
Der Sound von morgen: ein Potpourri aus Re-Edits und Remixen alter, teils vergessener Musikperlen: Die interaktive Webserie Dig it! erforscht in verschiedenen Ländern eine neue Musikwelt, in der Eigeninitiative, weltweites Teilen und die Fusion verschiedener Kulturen zum Standard werden.
Dabei steht die Frage im Zentrum: Wie erleben wir Musik? Wie werden wir sie in der Zukunft erleben? Wie wird Musik ihren Weg zu den Menschen finden und wer wird Einfluss darauf haben? Die Serie folgt Diggern, den leidenschaftlichen Goldgräbern rarer Sounds, und taucht ein in die Welt des Worldwide Soundsystems, in dem sich mehr denn je verschiedene Einflüsse und Kulturen aller Kontinente vermischen.
Hab mir mehrere Folgen angesehen, alle haben mir gut gefallen. Was mir aber bei der Reihe fehlt, ist der Zusammenhang zwischen den 16 Videos. Sollte das mal eine komplette Doku werden und dies sind die einzelnen Teile davon? In welchem Verhältnis stehen die jeweiligen Einblicke in die bunte Welt des Musik-Entdeckens? Das wird leider nicht geklärt und weil auf der Landingpage über die einzelnen Videos auch nix steht außer dem Titel, muss ich mir das selber zusammenreimen. Beim Medienpartner intro.de wird ein kleines bisschen mehr Zusammenhang gestiftet:
In 16 Folgen werden die Auswirkungen des Internets auf die Musik selbst und unser Konsumverhalten erforscht – wie und wo suchen wir heute nach Musik? Was macht die Blogosphäre rund um Musiker und Trends mit uns und mit der Musik? Und was wird der Sound von Morgen sein? Diesen und anderen Fragen geht die Serie nach, und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Nischenkünstler und ungewöhnliche Sounds kennen zu lernen, Musikern gleich in verschiedenen Netzwerken zu folgen und entsprechende Playlists anzuhören, wenn die Neugier erst einmal geweckt ist.