Die Tagung widmet sich den (Entwicklungs-)Dynamiken von Musikkulturen unter dem Diktum der Produktivität. Die Kultur wird in den letzten Jahren verstärkt aus kulturwirtschaftlicher Perspektive betrachtet. Begriffe aus der Wirtschaftswissenschaft gelangen verstärkt in kulturwissenschaftliche Diskurse und erfahrten dabei Anpassungen und Umdeutungen. Welche Bedeutungen kann der Begriff “Produktivität“ im Hinblick auf Musikkulturen annehmen und wie lassen sich diese “gewinnbringend” anwenden, um aktuelle Entwicklungsdynamiken zu beschreiben?
Die Rezeption von Tonträgermusik wurde mit der Etablierung des entsprechenden Marktes zu der vorherrschenden Konsumform von Musik. Heute hat der Zugang zu Kompositionsprogrammen, günstigen Instrumenten und digitalen Speicherformen den Konsumenten die Mittel zu musikalischer Aktivität in die Hand gegeben. Die dabei entstandene „Explosion“ kultureller Güter beeinflusst und verändert gesellschaftliche Strukturen des Konsums, der Teilnahme und Teilhabe nachhaltig. Musik ist heutzutage als Teil des Alltags omnipräsent, relevant – und zugleich „wertlos“ wie nie zuvor. Gleichzeitig entstanden im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse zahlreiche neue Organisationsformen von Musikkulturen, die unter Stichworten wie Szenen, Subkulturen, Musikindustrie, Kreativwirtschaft und Internet-Communitys diskutiert werden. Die Vielfalt solcher Organisationsformen ist wiederum durch die zunehmende Digitalisierung weithin sichtbar geworden. Entsprechend der These der „Demokratisierung“ der Produktionsmittel sind Musikkulturen heutzutage zugänglicher, nachvollziehbarer und dynamischer.
Häufig wird von einer erhöhten Produktivität gesprochen, aber diese kann auf verschiedene Weisen verstanden werden: beispielsweise ökonomisch als Input/Output-Verhältnis und Prozess der Herstellung sowie des Vertriebs kultureller Güter (Deutscher Bundestag 2008), durch die Integration des Kunden bzw. Fan als externen Faktors in den (Dienstleistungs-)Produktionsprozess (Maleri 1997, Lasshof 2006), als Bezugnahme auf kulturelle Beschreibungsformen von Musik z. B. hinsichtlich ästhetischer Qualität oder Zuwachs von Sinn (Groys 1992), als Wachstum und Ausdehnung der Kulturproduktion (Söndermann 2010), aber auch als Beschreibung von Neuheitsentwicklungen wie stilistischem Wandel oder der Entstehung neuer Kulturformen (Tschmuck 2012). Bei marginalen Musikkulturen mag der Schluss nahe liegen, dass sie unter einer ökonomischen Sichtweise doch eher unproduktiv sind. Aber greift solch eine Betrachtung unter Umständen nicht zu kurz?
Wer die Frage nach der Produktivität stellt, muss die Bedingungen definieren, auf welche sich diese bezieht. Während die Reflexion über die Produktion von Musik heutzutage wesentlich von politischen, künstlerischen und wirtschaftlichen Erwartungen und Anforderungen an „Kreativität“ (Reckwitz 2012) und den Anpassungsproblemen der Medienkonzerne an den technologischen Wandel bestimmt wird, bleiben unterschiedliche Eigenschaften der Musikkulturen und konstitutive Elemente der Schematisierung und Kommerzialisierung weitgehend unberücksichtigt.
Die Tagung möchte entsprechende Produktivitätsverständnisse und Organisationsformen von Musikkulturen vor dem Hintergrund soziologischer, kulturökonomischer und musikwissenschaftlicher Expertise vorstellen und diskutieren. Die Relevanz der Tagung liegt dementsprechend im Herausarbeiten von Produktivitätsdefinitionen sowie in der Erweiterung des Produktivitätsbegriffs am Beispiel von emergenten und etablierten Musikkulturen begründet. Die Beiträge der Tagung werden in einem Sammelband veröffentlicht.
Programm:
Freitag, 14.11.2014
Ab 13.00 Uhr
Empfang und Registrierung (Foyer des Konzertsaals)
13.30 Uhr
Grußwort des geschäftsführenden Direktors des Instituts für Musik,
Jan Hemming (Universität Kassel)
14.00 Uhr
Panel 1: Theoretische Konzeptionen des Produktivitätsbegriffs,
Moderation: Dennis Mathei (Ruhr-Universität Bochum)
Produktivität der Musik? Soziologische Kritik eines Begriffes:
Glaucia Peres da Silva (Universität Duisburg-Essen)
Herausforderungen der Konzeptualisierung der Produktivität von Musikkultur:
Aljoscha Paulus und Carsten Winter (Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover)
15.30 Uhr
Kaffeepause (Foyer des Konzertsaals)
16.00 Uhr
Panel 2: Fallbeispiele
Moderation: Holger Schwetter (Leuphana Universität Lüneburg)
Novellierungsmüdigkeit im Rahmen der aktuellen Praxis der Bundesförderung von ,Zeitgenössischer Musik‘,
Hendrik Neubauer (Universität Kassel)
YouTuber und YouTube-Musiker, Lorenz Grünewald (Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Berlin) und Joachim Haupt (Universität der Künste Berlin)
17.30 Uhr
Kurze Kaffeepause (Foyer des Konzertsaals)
17.45 Uhr
Panel 3: Urheberrecht und Produktivität, Moderation: Jan Hemming (Universität Kassel)
Von einer Frage des Kontexts und der Aura zu einer Frage der Transformativität:
Die gegenwärtige deutsche Urheberrechtsprechung und Mashup
Frédéric Döhl (Freie Universität Berlin)
Vom pragmatischen Umgang unabhängiger Musiker mit dem Urheberrecht
Holger Schwetter (Leuphana Universität Lüneburg)
20.15 Uhr Abendessen
______________
Samstag, 15.11.2014
09.30 Uhr
Panel 4: Kreativität und Produktivität
Moderation: Hendrik Neubauer (Universität Kassel)
Kreativität der Umgehung oder Umgehung der Kreativität?
Georg Fischer (Freie Universität Berlin)
Post-Kreativismus: Zur (Re-)Produktionslogik der (Berliner) Techno-Szenewirtschaft
Jan-Michael Kühn (Technische Universität Berlin)
11.00 Uhr
Kurze Kaffeepause (Foyer des Konzertsaals)
11.15 Uhr
Panel 5: Produktivitätsdynamiken,
Moderation: Jan-Michael Kühn (Technische Universität Berlin)
Wer gewinnt, verliert: Populäre Musik und Konsekration
Jonathan Kropf (Universität Kassel)
Über die Inputfaktoren der Nischenmusikproduktion
Dennis Mathei (Ruhr-Universität Bochum)
12.45 Uhr
Mittagsimbis (Foyer des Konzertsaals)
13.15 Uhr
Abschlussdiskussion
Moderation: Holger Schwetter (Leuphana Universität Lüneburg)
14.00 Uhr Schluss
Klanginstallation: Untitled. – Über Bedroom Producer und Strategien der künstlerischen Selbstvermarktung.
Ein Radiofeature von Marcus Glahn, Bauhaus-Universität Weimar 2014. An beiden Tagen in Raum 1012.
Veranstaltungsort: Universität Kassel, Institut für Musik (IfM), Konzertsaal (Untergeschoss),
Mönchebergstr. 1, 34125 Kassel
Anfahrt: Tram-Linien 3/6/7 bis ,Katzensprung‘ oder Bus-Linie 10 bis ,Mönchebergstraße‘
Tagungsbüro: Universität Kassel, Institut für Musik (IfM), Raum 2023 (2. Etage),
Mönchebergstr. 1, 34125 Kassel. Telefon: 0561 804-4799
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