
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 31.5.2016 über den Fall „Metall auf Metall“ zwischen der Band Kraftwerk und dem Musikproduzenten Moses Pelham geurteilt. Dabei wurde das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2012 aufgehoben. Es geht um ein 1,5 langes Sample aus Kraftwerks „Metall auf Metall“ (1977), das Moses Pelham ohne Erlaubnis für das Stück „Nur mir“ (1997) verwendet hatte.
Pelham hatte zusammen mit anderen eine Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil eingereicht und dabei vor allem damit argumentiert, dass seine künstlerische Ausdrucksform, das Sampling, und damit eine ganze künstlerische Stilrichtung, nämlich HipHop und ähnliche, nicht mehr möglich wären. Die urheber- und vor allem leistungsschutzrechtlichen Hürden, die der BGH 2012 für das Sampling anlegte, seien dafür zu hochgelegt.
Das BVerfG hat diese Verfassungsbeschwerde grundsätzlich anerkannt, wobei das meiner Meinung nach noch nicht bedeutet, dass Sampling dadurch vollständig legalisiert wäre. Doch die Verfassungstreue, möchte das BVerfG damit zumindest sagen, ist bei der restriktiven Entscheidung des BGH, die mehr Hürden als Möglichkeiten einräumt, nicht mehr gegeben: die BGH-Entscheidung beschneidet die Kunstfreiheit. Damit dürfte die grobe Richtung vorgegeben werden, die das höchste deutsche Gericht für die künstlerische Auseinandersetzung mit urheberrechtlich geschütztem Material sehen will. Es ist eine prinzipiell sehr freundliche Haltung gegenüber dem Sampling, der (digitalen) Remixkultur und natürlich der Kunstfreiheit, und bisher ohne Gleichen. Die Frage ist nun, wie geht der BGH damit um? Legt er seine Entscheidung wegen der EU-Urheberrechtstichtlinie seit 2002 sogar in weiterer Folge dem EuGH, dem Europäischen Gerichtshof vor?
Diese Dinge werden sich in den nächsten Jahren klären. In der gestrigen Pressemitteilung des BVerfG liest sich das Urteil bereits so:
Steht der künstlerischen Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht gegenüber, der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, können die Verwertungsinteressen des Tonträgerherstellers zugunsten der Freiheit der künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben. […] Das vom Bundesgerichtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen.
Das BVerfG hat also die Entscheidung des BGHs kassiert, der BGH muss nachbessern. Etwas ausführlicher dieser Abschnitt, bei dem die Kunstfreiheit und die ökonomischen Interessen der Verwerter gegenüber gestellt werden. Für mich heißt das im Klartext: Die Annahme des BGH, dass durch die Entnahme eines kurzen Samples ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist bzw. entsteht, ist unrichtig und unverhältnismäßig gegenüber der Kunstfreiheit:
c) Die Annahme des Bundesgerichtshofs, die Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen stelle einen unzulässigen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger dar, soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trägt der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Wenn der Musikschaffende, der unter Einsatz von Samples ein neues Werk schaffen will, nicht völlig auf die Einbeziehung des Sample in das neue Musikstück verzichten will, stellt ihn die enge Auslegung der freien Benutzung durch den Bundesgerichtshof vor die Alternative, sich entweder um eine Samplelizenzierung durch den Tonträgerhersteller zu bemühen oder das Sample selbst nachzuspielen. In beiden Fällen würden jedoch die künstlerische Betätigungsfreiheit und damit auch die kulturelle Fortentwicklung eingeschränkt.
Sample-Lizenzen sind dagegen natürlich weiterhin ein Mittel, das auch das BVerfG gut heißt. Da sie aber beliebig hoch angesetzt oder einfach verweigert werden können, stellen Lizenzen allerdings keinen Ausgleich für die restriktive Entscheidung des BGH dar.
Der BGH hatte 2012 ein „Äquivalenzmodell“ vorgelegt, das wegen seiner waghalsigen Konstruktion viel Kritik nach sich gezogen hatte. Wenn es einem „durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten“ zum Zeitpunkt der Aufnahme möglich sei, das Sample selbst nachzustellen, dürfe es nicht gesampelt werden. Dieses Äquivalenzmodell hatte das BVerfG gestern zu Recht verworfen: Einerseits bleibt es vollkommen unsicher, wie dieser durchschnittlich ausgestattete und befähigte Musikproduzent denn aussehen solle. Andererseits wäre durch das Urteil die Situation entstanden, dass die besonders leicht nachzuspielenden Ausschnitte einen besonderen Schutz erfahren hätten. Die urheberrechtliche Schutzzone hätte sich damit nach unten hin ausgeweitet. Nach oben hin gibt es mit dem starren Melodienschutz aus §24 Abs. 2 UrhG auch schon eine Beschränkung. Dieser existiert nach dem Urteil des BVerfG natürlich noch weiter, aber die Verhältnismäßigkeit wird zu Gunsten von professionellen Produzenten und vor allem auch Amateuren gestärkt.
Besonders bemerkenswert finde ich den folgenden Abschnitt, der empfiehlt, die stilprägenden, kunstspezifischen Merkmale zu berücksichtigen. Damit wird die Ausdifferenzierung der Musik in verschiedene Genres mit ebenso spezifischen ästhetischen Anforderungen und Merkmalen anerkannt; das dominierende romantische und auch urheberrechtliche Verständnis von einmaligen Künstlergenies, die „spurenlos“ aus sich selbst schöpfen und denen sich eine maximale Herrschaft über ihre Werke ergibt, steht also nicht mehr als eindeutiges Modell im Vordergrund:
Das eigene Nachspielen von Klängen stellt ebenfalls keinen gleichwertigen Ersatz dar. Der Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop. Die erforderliche kunstspezifische Betrachtung verlangt, diese genrespezifischen Aspekte nicht unberücksichtigt zu lassen. Hinzu kommt, dass sich das eigene Nachspielen eines Sample als sehr aufwendig gestalten kann und die Beurteilung der gleichwertigen Nachspielbarkeit für die Kunstschaffenden zu erheblicher Unsicherheit führt.
Das waren Auszüge aus der Pressemitteilung, die auf dem mehr als 20 Seiten langen Urteil beruht, das ich noch nicht vollständig zerpflückt habe. Die Argumentation ist aber sicherlich kongruent.
Lesenswerte Interviews und Artikel mit kurzer Kommentierung
Hier noch einige Texte, die ich zur Lektüre empfehlen kann und kurz kommentierte habe: David Pachali und Leonhard Dobusch sehen in ihren Beiträgen für irights.info bzw. netzpolitik.org beide eine Sympathie für Fair Use-Prinzipien:
In der HipHop- und Sampling-Szene nahm man das Urteil erwartungsgemäß positiv auf. Der HipHop-Journalist Falk Schacht macht deutlich, dass die langatmigen und komplizierten Sample Clearing-Vorgänge nicht nur die kulturelle, sonder auch die wirtschaftliche Entwicklung unnötig hemmen. Oder sogar kleine Labels in den Ruin treiben können, wie die Produzenten Figub Brazlevic und Suff Daddy nachlegen.
Der DJ, Produzent und künstlerische Leiter des Pop-Instituts der Folkwang Uni Hans Nieswandt hält nicht den Ausgang des Urteils für primär wichtig, sondern plädiert für moralische Maßstäbe und Augenmaß bei der Entnahme von Samples, also für eine „Ethik des Kopierens“ – und zwar auf beiden Seiten, bei den Samplenden als auch den Gesampelten. Passend dazu liest der ehemalige Rapper und heutige Anwalt für Urheberrecht Sebastian Möllmann aus dem Urteil zwar noch keine Rechtsfreiheit oder prinzipielle Legalität des Samplings heraus, hält ihm aber zu Gute, dass nun zwei Maßstäbe zur Beurteilung verfassungsrechtlich gestärkt seien: der Abstand zwischen Original und Bearbeitung des Samples sowie die Länge des Samples.
Im Verfassungsblog werden einige der auch oben genannten Aspekte hervorgehoben und diskutiert. Für den Autor ist das Urteil eine „echte Premiere“ hinsichtlich des Verhältnisses von Geistigem Eigentum und Kunstfreiheit. Der BGH kommt dabei nicht so gut weg. Interessant finde ich vor allem diese Einschätzung:
Vor allem aber überzeugt die in Orientierung an der wirtschaftlichen Produktionslogik des Tonträgerherstellers vom BGH zusätzlich eingeführte Ausnahme nicht. Die analoge Anwendung von § 24 UrhG soll ausgeschlossen sein, wenn dem Entlehnenden die eigene Einspielung der aufgezeichneten Tonfolge tatsächlich möglich sei. Dann fehle nämlich jene rechtliche Angewiesenheit auf eine freie Benutzung wie bei urheberrechtlich geschützten Werken, deren Vervielfältigung auch zum Zwecke der Ermöglichung eigenen Schaffens nach § 16 UrhG ohne Einwilligung des Rechtsinhabers zunächst unzulässig wäre. Weite Auslegung von wirtschaftlichen Monopolrechten gepaart mit enger Auslegung von Schranken für kreative Weiterverwendung – dieses Rechtsregime ist nach Auffassung des Verfassungsgerichts mit der Kunstfreiheit nicht vereinbar.
Sichtlich zerknirscht äußerte sich der Bundesverband der Musikindustrie. Natürlich versuchte man aber auch, die Entwicklung für sich zu nutzen. In einer Pressemitteilung gab man zu verstehen, dass das Urteil eine „Chance“ sei für den BGH, „den Fall noch einmal neu zu sortieren“. Auf die Probleme des Sample Clearings wurde nicht eingegangen, es wurde sogar als Alternative hervorgehoben (fast so, als hätte man die Tragweite des Urteils nicht erfasst oder wolle sie vorsätzlich kleinhalten): „Neben der Möglichkeit die Tonfolgen nachzuahmen bestehe stets die Möglichkeit, sich vom Rechteinhaber die fraglichen Rechte lizenzieren zu lassen.“ Wobei die Formulierung natürlich bewusst „gummiartig“ gewählt ist, denn „bestehe stets die Möglichkeit“ ist definitiv nicht gleichzusetzen mit einer tatsächlichen Zwangslizenz, auch wenn es die Formulierung nahe legt.
Zum Abschluss noch ein sehr hörenswerter Beitrag bei Radio Z, in dem sich Volker Tripp von der Digitalen Gesellschaft klar verständlich und ausführlich äußert. Die Digitale Gesellschaft hatte bei der Verfassungsbeschwerde mitgewirkt (hier das Positionspapier). Offenbar sehr überzeugend für die Verfassungsrichter, die in ihrem Urteil auch der technologischen Entwicklung und dem Einfluss von Remix-Amateuren durch die Kulturtechnik des Samplings einen ganzen Absatz spendierte (Abs. 47 im Urteil)
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