Seit etwa einem Jahr steht der „Pastiche“ im deutschen Urheberrecht. Wir werfen einen Blick in ein neues Gutachten, in dem Till Kreutzer Konzept und Konsequenzen des Pastiche-Begriffs untersucht. Am 19. September wird Kreutzer das Gutachten bei der „Filtered Futures“-Konferenz in Berlin zur Diskussion stellen.
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Umgehungskreativität in der Medienindustrie

Nächtliche Kletterwand in Brisbane, Australien (2017) – CC BY Georg Fischer
Drei aktuelle Beiträge von mir zum Phänomen der Umgehungskreativität in der Medienindustrie (das ich hier für’s Sampling ganz genau untersucht und beschrieben habe.) Die Zusammenschau der drei Fälle zeigt ein Muster: Neue Technologien bergen stets die Möglichkeit zur Manipulation für alle diejenigen, die sie besonders gut beherrschen, Schlupflöcher erkennen und bereit sind, sie zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen, auch wenn sie sich damit in die Illegalität begeben und anderen Schaden zufügen. Besonders schwierig wird es dann, wenn Manipulation und Kontrollsysteme zu nah beieinander liegen.
Im Februar diesen Jahres wurde ich für einen Radiobeitrag bei Deutschlandfunk Kultur zum Thema „Bootleg Podcasts“ bei Spotify interviewt. Der Clou dabei: User laden in der Podcast-Sektion von Spotify eigene Remixes oder Coverversionen ohne urheberrechtliches Clearing hoch, obwohl sie das eigentlich in vielen Fällen tun müssten. Auf diese Weise umgehen sie die Spotify-Regularien und die strapaziöse, oftmals unergiebige Lizenzierung, denn die Podcast-Sektion wird offensichtlich nur spärlich kontrolliert. Im Beitrag argumentiere ich dann auch für eine „Ästhetik des Halbseidenen“, die so entsteht und reizvoll sein mag – denn die Stücke können nach kurzer Zeit wieder verschwinden, die dadurch entstehende Knappheit macht die Musik interessant.
Etwas anders liegt es bei den Spielchen um gekaufte, gefakte oder anderweitig frisierte Follower- und Playzahlen bei Streaming-Anbietern wie Spotify. Diese Woche kam heraus, dass Spotify bei einigen Accounts aufgeräumt hat, wodurch einige Künstler:innen beträchtliche Followerzahlen verloren haben. Dabei wurden sogenannte Fake-Accounts genauso gelöscht wie stillgelegte oder anderweitig inaktive. Es ist deshalb nicht leicht abzuschätzen, wie groß das Problem mit den Fake-Followern wirklich ist, wie ich in einem Interview für das Schweizer Radio SRF 2 sage. Klar ist allerdings: das Problem der Manipulation in der Musik- und Medienindustrie ist generell schon vorhanden, angefangen beim Payola-Skandal und endend bei dem Fakt, dass man sich leicht Follower bei Instagram, Youtube, Soundcloud, etc. kaufen kann. Beim Spotify-Konkurrenten TIDAL wurden schon 2018 große Unregelmäßigkeiten beim Abspielen bestimmter Künstler:innen festgestellt, Spotify selbst war 2019 auch wegen sogenannter „fake artists“ in den Schlagzeilen, also Künstler:innen, die nur auf Spotify zu finden sind und dort hohe Abspielraten haben, aber über die man sonst nichts im Netz findet. Auch das ist Umgehungskreativität, in diesen Fällen mutmaßlich in kriminalle Akte gelenkt.
Das bringt mich zu meinem dritten Beitrag, der diese Woche bei iRights.info zum Fälschungsskandal um Claas Relotius erschien. Hier schreibe ich, dass Relotius als digital versierter Fälscher die Schwachstellen in dem Teil des noch auf Print ausgelegten Spiegel-Verlags gezielt ausnutzte und sich auf diese Weise nach oben schrieb, Preise einheimste, Renomee generierte, etc. – wohlgemerkt mit frisierten, manipulierten oder teils komplett gefälschten Reportagen. Relotius betrieb dieses Spiel jahrelang, bis ihm sein Kollege Juan Moreno auf die Schliche kam und ihn gegen erhebliche interne Widerstände beim Spiegel überführte. Darüber hat Moreno ein lesenswertes, fast schon krimiartiges Buch verfasst – in dem er Relotius als „Steilwandkletterer“ beschreibt, daher das obige Bild – nach dessen Lektüre ich Relotius als digitalen Fälscher interpretiere und seine Vorgehensweise an der Bruchstelle von alter Printwelt und neuer Digitalwelt verorte.Denn hier konnte Relotius optimal agieren: digital recherchieren, fingieren, schreiben – und dann im Print veröffentlichen, um auf diese Weise weniger rückverfolgbar zu werden und sich der Kontrolle zu entziehen.