Patina – die Zukunft der Endlichkeit (DLF Podcast)

Seitdem ich in Berlin lebe, frage ich mich, warum so viel Kneipen, Restaurants und Clubs das Alte und Gebrauchte hier so zelebrieren, wie die DDR-Tapete, Omas Geschirr oder auf dem Flohmarkt gefundene Stühle. Diese Vorliebe ist manchmal wirklich bizarr und auch wenn ich mich mittlerweile daran gewöhnt habe, fällt es mir trotzdem hin und wieder auf. Viele Gäste finden offenbar die Patina, die Gebrauchs- und Verfallsspuren der Dinge, irgendwie anziehend. Berlin selbst mit seiner maroden Infrastruktur und seiner generellen Kaputtheit hat daraus irgendwie einen Lifestyle gemacht, der sich gut vermarkten lässt („Berlin Style“).

Aber auch in anderen Bereichen kann man den Hang zum Retro beobachten: Instagram-Filter, Rennräder aus den 1970ern, Filme und Serien, die im Stil des „Golden Age of Hollywood“ (wie „The Artist“) oder im Sciene-Fiction-Stil vor 30 Jahren produziert sind (wie „Stranger Things“). Der Popkritiker Simon Reynolds hat diese Rückwärtsgewandtheit für die Musik beschrieben und das Phänomen mit seiner Diagnose von der „Retromania“ versucht auf den Punkt zu bringen. Sampling und Diggin‘ in the Crates gehören selbstredend dazu: auch hier wird das Alte ja wahnsinnig gefeiert und gesucht.

In diesem Zusammenhang bin ich letztens beim Deutschlandfunk auf einen interessanten Podcast gestoßen, der einen weiten Bogen zur Erklärung anbietet. In der von Thomas Palzer verantworteten Sendung „Patina – die Zukunft der Endlichkeit“ wird bis ins 17. Jahrhundert zurückgegriffen. Damals hatte Patina eine bestimmte soziale Funktion, die sie mit dem Entstehen der kapitalistischen Industriewirtschaft und der modernen Konsumgesellschaft nach und nach verlor. Ursprünglich wurde mit der Patina auf dem Silberbesteck, also den durch Rost entstandenen Verfärbungen, angezeigt, dass sich das Besteck schon lange im Besitz einer Familie befindet. Auf diese Weise konnte familiäre Tradition und Ehrbarkeit ausgewiesen werden, um einen höheren sozialen Stand zu gelangen:

„Im 16. Jahrhundert hätte jemand, um seinen Anspruch auf sozialen Status zu befestigen, silberne Teller verwenden können – neue, ohne Patina. Tatsächlich aber – so McCracken – verwendete man Silbergeschirr mit Patina, denn erst durch die Patina wird von der Familie wortlos geltend gemacht, dass ihr Anspruch auf hohen sozialen Status bereits seit langem besteht.“

Durch den Siegeszug der kapitalistischen Herstellungsweise veränderte sich diese Praxis aber, da das Neue eine Aufwertung erfährt: in Form von Moden, Nachrichten („News“) und immer neuen Produkten, die es zu kaufen gibt. Das Alte verliert an Wert, die Patina steht ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr für Altehrwürdigkeit, sondern für den verschlafenen Trend oder zu wenig Ressourcen für eine Erneuerung. Die Gesellschaft fängt an, verstärkt nach vorne zu sehen und das Neue nicht als Bedrohung, sondern als willkommene Abwechslung zu begreifen:

Das Neue wird zur Droge, die Neuigkeit zum unbedingten Hut der Saison – und mit ihr gewinnt der Journalismus an Bedeutung, der die News zur Ware macht.

„Und währenddessen verliert die Patina dramatisch an Wert.“

Und jetzt die Pointe: Im ästhetischen Kapitalismus, in dem wir uns heute befinden und in dem der Inszenierungswert wichtiger wird als der Gebrauchswert einer Ware, muss manchmal künstlich nachgeholfen werden, um sich von der ständigen Neuheit der konkurrenten Konsumgüter abzugrenzen. Das Alte wird wieder hip und steht nun auf einmal für Authentizität, für das „Ehrliche“. Das beste Beispiele in dem Zusammenhang ist sicherlich der Manufactum-Katalog, der mit Slogan „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ wirbt.

Der Schluss des Podcasts ist mir etwas zu kulturpessimistisch und verklärend:

Wenn Dinge heute mit Patina ausgestattet sind, ist diese immer gefälscht. Patina ist eine Verkaufsstrategie, die banale, bedeutungslose Dinge mit einem Heimweh versieht, das nur so aussieht, als wäre es eines.

Trotzdem, es bleibt eine sehr hörenswerte halbe Stunde, die ich unbedingt empfehle. Ich werde bei Gelegenheit mal darauf zurückkommen und versuchen, die Argumentation von der Patina am Beispiel von Sampling etwas weiterzuführen.

Hier der Link zur Sendung. Super am Deutschlandfunk ist ja auch, dass das Redemanuskript immer zur Verfügung steht, macht bspw. das Durchsuchen leichter. Hier geht es direkt zum Stream:

Vinyl: Boom oder „Böömchen“? – Diskussionsveranstaltung vom Deutschlandfunk zum Record Store Day

Diggin in the Crates Sydney

Heute ist Record Store Day, eine Veranstaltung, die von den kleinen Plattenläden vor einigen Jahren ins Leben gerufen wurde, um die Leute verstärkt zum Platten shoppen zu animieren. Seit einigen Jahren wird es aber etwas zwiespältig. Denn es gibt seitens der kleinen Indielabels und Plattenläden vermehrt die Kritik, dass die Majorlabels mit ihren Aufträgen die Presswerke verstopfen – und die Indies damit nicht mehr zum Zug kommen. Oye Records aus Berlin haben daher dem RSD daher schon abgeschworen.

Es ist dabei eine Kritik, gegen die sich meiner Meinung nach die Pressesprecher und Vertreter der Majors nie wirklich stichhaltig behaupten können. Zumindest habe ich noch keine Antwort seitens der Majors gehört, die überzeugend wäre. Das typische Antwortschema ist in der Regel:

  • die Trennung zwischen Major und Indie sei schon seit langer Zeit hinfällig und das Gegeneinander-Ausspielen wirke dementsprechend lächerlich [Abwertung der Frage/des Vorwurfs]
  • die Majors verstopfen nicht durch ihre Marktmacht die Presswerke, sondern entsprächen nur der Nachfrage der Kunden; ihre umfangreichen Aufträge seien dementsprechend Markt- und nicht Angebotgetrieben, eine Marktmacht werde daher nicht missbraucht [Externalisierung der Schuld I]
  • optional: die Presswerke sollen die Zeichen der Zeit endlich erkennen und sich neue Maschinen anschaffen [Externalisierung der Schuld II – verschärft und verhöhnend]

Schade, dass diese doch ziemlich simple und leicht zu durchschauende Argumentationslinie nie wirklich durchstoßen oder zumindest angekratzt wird. Als Beispiele führe ich mal die Doku „Vinyl lebt“ vom ZDF an und die aktuelle Diskussionsveranstaltung „Die Folgen des Vinylhypes“, die letzte Woche im DLF lief und jetzt als Podcast zur Verfügung steht. Mit dabei: Hans Nieswandt, DJ und künstl. Geschäftsführer am Institut für Populäre Musik, Jan Köpke, Koordinator des „Record Store Day“ in Deutschland und Label-Chef von Popup Records, und Thomas P. Heckmann, DJ und Besitzer des Techno-Labels Trope Recordings.

 

Vielleicht sind wir auch schon am Peak der Angelegenheit angekommen, denn alle Beteiligten bezweifeln die „Boom“-Ausmaße des Vinyl-Hypes. Der Moderator spricht dann auch weitgehend von einem „Böömchen“. An anderer Stelle bezweifelt Nieswandt darüber hinaus die Nachhaltigkeit und Langfristigkeit des Hypes, nachzulesen in diesem Interview.

Vier gewinnt! Aktuelle Podcasts zum Themenbereich Sampling, Originalität und Wiederholung

Das Jahr 2014 hat bereits eine Handvoll sehr interessanter und gut gemachter Podcasts hervorgebracht, die von „etablierten“ Häusern produziert wurden und alle – mit verschiedenen Schwerpunkten – um den Themenbereich Sampling, Remix, Mashup, Wiederholung, Loops, Variation, Plagiat, geistiges Eigentum und Urheberrecht kreisen. Diese Entwicklung ist sehr erfreulich, weil sie die Relevanz der Themen auch in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert und damit die engen Grenzen der eigenen „Filterbubble“ verschiebt. Ich möchte diese kleine „Welle“ an Podcasts zum Ausgangspunkt nehmen, um hier eine kurze Sammelbesprechung anzubieten. Die Podcasts empfehlen sich alle vier sehr gut zum Nebenbeihören, z. B. beim Kochen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder zwischendrin auf der Couch. Trotzdem empfehle ich aus thematischen Gründen mal folgende Reihenfolge:

Die vier Podcast zum Herunterladen, Anhören, Sampeln und Remixen

Beginnen wir mit dem aktuellsten Feature: „Pop will eat itself von Martin Butz, der für Recht auf Remix schon vorab interviewt wurde. Martins Thema ist das Verhältnis von technologischen Möglichkeiten, ästhetischen Anforderungen und urheberrechtlichen Verwicklungen, in dem sich die moderne Musik- und Kunstproduktion derzeit befindet. Anhand zahlreicher Interviews mit Experten aus Wissenschaft, Recht, Kunst und Musik spürt er den Phänomenen „Remix“, „Zitat“ und „Variation“ nach und zeigt an vielen spannenden Beispielen aus der klassischen Musik, dem Pop und weiteren künstlerischen Richtungen die historische Dimension dieser Techniken auf. Sehr unterhaltsam und vielseitig, und damit als Einsteig hervorragend geeignet! Ins Manuskript kann man auch vorher schon mal reinschnuppern. Außerdem empfehle ich die Hintergrundinformationen, die Martin bei sich verbloggt hat.

„‚Pop will eat itself.‘ Vom Musikmachen mit Musik. Remix, Plagiat und Copyright“ (Martin Butz, Deutschlandfunk 2014)

 

Einem ähnlichen Ansatz folgen die Macher des Podcasts „Fade in/Fade out. Remixing Culture“ von der Kulturwelle der HU Berlin. Ich vermute dahinter Angehörige des Instituts für Kulturwissenschaften. Sie betrachten den Remix aus einer allgemeinen Perspektive, als Kulturtechnik, die eben in der Musik eine spezielle, geradezu postmoderne Ausprägung angenommen hat, wenn alles musikalische Material als „Sound“ verfügbar ist und in endlosen Rekombinationen neu zusammengesetzt werden kann. Ein Akzent des Features liegt dabei auf der Frage nach der „Authentizität“: Was und wie muss etwas klingen, damit es als authentisch erfahren wird? Durch die Beleuchtung dieser spezieller Fragen ist es ein super follow-up zu Martin Butz‘ Feature. Sehr interessant ist auch der Abschluss, in dem die Sendung selbst von Ramsus Lauvring geremixed wird.

„Fade in/Fade out. Remixing Culture“ (Anastasia Andersson und KollegInnen, Kulturwelle, Institut für Kulturwissenschaft, HU Berlin 2014)

 

Der Journalist Andreas Main dreht sich für sein Feature „Die Wiederholung in den Künsten“ im Kreis – bildlich gesprochen. Die Wiederholung, die Serie, der unendliche Loop ist sein Thema, das er in verschiedenen Portraits und Interviews mit Musikern und Künstlern erkundet. Die künstlerische Wiederholung hat in unserem Kulturkreis einen denkbar schlechten Stand, da sie vorwiegend mit Faulheit, bloßem „Abkupfern“, fehlender Inspiration oder sogar Plagiat in Verbindung gebracht wird. Doch zeigt Andreas Main, dass die fortlaufende Wiederholung oder Imitation einen ganz eigenen künstlerischen Aspekt bereit hält, wie zum Beispiel durch das tiefe auditive Eindringen in einen House-Loop. Oder, und diese Stelle fand ich besonders beeindruckend, durch die bewusste Reduktion und Fokussierung auf eine bestimmte Sache: der Maler Peter Dreher malt seit Jahren ein und dasselbe Glas. Jeden Tag auf’s Neue, und jeden Tag ist es eine neue Herausforderung für ihn. Auch hier wurde netterweise das Manuskript bereitgestellt.

„Die Wiederholung in den Künsten: Tag um Tag guter Tag“ (Andreas Main, Deutschlandfunk 2014)

 

Und wo bleibt da die Originalität?, fragt Roderich Fabian vom Bayerischen Rundfunk in seinem Feature „Bewährt statt neu“. Die Antwort könnte lauten: Auf der Strecke. Die Sendung arbeitet sich an der These von der „Originalitätsdämmerung“ des Karlsruher Kunstprofessors Wolfgang Ulrich ab, die Peter Dreher im o. g. Feature bereits vorbildlich illustriert hat. Die Fixierung auf Originalität, Innovation und das ständige Neue ist ein Fetisch unserer Zeit, dabei ist Bewährtheit und Vertrautes ein viel signifikanteres Dogma der Kunst, wenn man Ulrich folgt. Der Podcast hängt sich dabei an der Diagnose der „Retromania“ auf, die der Musikjournalist Simon Reynolds diskutiert und zeigt anhand zahlreicher Beispiele, dass es mit Originalität in der Kunst oft ganz anders bestellt ist, als auf den ersten Blick scheint.

„Bewährt statt neu. Ist die Originalität der Kunst am Ende?“ (Roderich Fabian, Bayerischer Rundfunk 2014)

 

So, 16.11.14, 20 Uhr: Feature im Deutschlandfunk zu „‚Pop will eat itself‘- Vom Musikmachen mit Musik. Remix, Plagiat und Copyright“ von Martin Butz

Diesen Sonntag läuft im Deutschlandfunk ein einstündiges Feature von Martin Butz aus Bremen zum Thema „‚Pop will eat itself‘- Vom Musikmachen mit Musik. Remix, Plagiat und Copyright“. Es verspricht äußerst spannend zu werden, denn Martin hat bereits zu diesem und verwandten Themen geforscht, Seminare gegeben und Vorträge gehalten. Zur Einstimmung hat Martin vor ein paar Tagen ein Interview für die Initiative Recht auf Remix gegeben und schon mal den Zusammenhang zwischen Radio machen (hier ausführlich), Zitieren, Remixing und Urheberrecht erläutert:

Im letzten Jahr habe ich mit meinem guten Freund und Kollegen Fabian von Freier ein Hörstück mit dem Titel “Sammelsurium. Man kann nicht nicht zitieren” für den Deutschlandfunk (DLF) gemacht. Wir haben ein Gespräch über Gott und die Welt, den Kapitalismus, die Moral und das Essen und Fressen zwischen unterschiedlichen Personen fast vollständig mit Zitaten realisiert: Zitate aus wissenschaftlichen und belletristischen Werken, Zeitungen, Rundunk und dem Internet. Die Rechtsabteilung des DLF wusste damit zunächst nichts anzufangen. Das war Neuland. Vom Zitatrecht wurde das definitiv nicht abgedeckt, da das neue Werk nicht nur zitierte, sondern nahezu vollständig aus Zitaten bestand. Also begannen wir, jeden der Zitierten anzuschreiben und nachzufragen, ob wir das so verwenden dürfen. Ich habe dabei einiges über die Konsolidierung im Verlagsgewerbe erfahren. Wir wurden beispielsweise von einem Verlag an den nächsten verwiesen, nur um nachher festzustellen, dass der letzte in der Kette doch wieder zu Random House gehört. Am Ende wurde uns klar: Ein solches Feature – also ein solcher Remix – ist nicht möglich, wenn man jeden der Zitatgeber fragen muss. Der organisatorische Aufwand ist viel zu groß, auch wenn wir in vielen Fällen eine kostenfreie Verwendung erreichten. Lange Rede, kurzer Sinn: Am Ende fand die Rechtsabteilung im DLF heraus, dass wir das ganze über die VG Wort abrechnen können. In unserem Fall reichten also die bestehenden Konstruktionen rund um das Urheberrecht aus. Allerdings mussten wir das erst herausfinden. Und im Musikbereich sieht das ganz anders aus.

Sonntag, 16.11.2014, 20 Uhr im Deutschlandfunk (und danach 7 Tage im Podcast): „‚Pop will eat itself‘- Vom Musikmachen mit Musik. Remix, Plagiat und Copyright“. Ein Feature von Martin Butz.

Simon Reynolds: RetromaniaDie Formulierung „Pop will eat itself“ findet sich übrigens in ähnlicher Form in der kritischen These des Musikjournalisten Simon Reynolds, die er in seinem Buch „Retromania“ vor ein paar Jahren entwickelt hat: Pop beutet seine eigene Vergangenheit systematisch aus, um immer wieder neue Retromoden anzuzetteln. Eine sehr kenntnisreiche Darstellung der Popmusik mit marxistischem Einschlag, die die Idee von der geplanten Obsoleszenz auch in der Musikproduktion einführt. „Retromania“ ist 2012 in der deutschen Übersetzung beim Ventil Verlag erschienen.