Vor ein paar Wochen waren ja Wahlen in Berlin. Die Ergebnisse sind denkbar grausam ausgefallen, die AfD mit ihrer menschenfeindlichen und rassistischen Ideologie räumte ziemlich ab. Das hat auch das Berghain mit seinem Wahlaufruf nicht verhindern können. Wer das Programm vom 17.9. besucht, kann dort bei der running order lesen: „08:00h – 18:00h WÄHLEN GEHEN, RECHTSPOPULISTEN VERHINDERN!“
Die Feuilletons der Berliner Presse waren sehr angetan von der Aktion. Ich glaube, auch in den sozialen Medien wurde ziemlich applaudiert. Eine kritische Auseinandersetzung mit den ausgrenzenden Mechanismen der Berliner Clubkultur fand, soweit ich das überblicken kann, aber nicht statt, mal von einigen Leserkommentaren abgesehen, z. B. beim Tagesspiegel.
Prinzipiell ist das natürlich ein netter Zug von dem Club, man wirkt demokratisch und offen. Ich finde nur, dass dieser Wahlaufruf überhaupt nicht zu dem elitären Prinzip passt, welches das Berghain seit Jahren erfolgreich fährt.
Man muss sich die Ironie des Ganzen mal vor Augen führen: Ein Club, dessen Markenkern vorwiegend darin besteht, die härteste Tür Berlins zu haben und nach willkürlich wirkenden Prinzipien sein Publikum zu wählen, ruft dazu auf, die Rechtspopulisten von der AfD zu verhindern, in deren kranken Fieberträumen Mauern um Deutschland herbeigesehnt werden.
Ist diese Parallele, diese Widersprüchlichkeit niemandem aufgefallen? Ich meine damit sicherlich nicht, dass das Berghain rechts ist. Ich meine, dass Ausgrenzungsmechanismen in der Clubkultur salonfähig sind, teilweise sogar gefeiert werden. Das kann man an dem ewigen Gewese um diesen Club ablesen. Und daran, wie Berghain-Türsteher inszeniert werden.
Die Ikone, der Prototyp des Berliner Türstehers ist wahrscheinlich Sven Marquardt vom Berghain. Er hat schon sowas wie popkulturellen Status, darf in Talkshows auftreten, hat sein eigenes Mural und auch eine Statue. Die ZEIT hat ihn mal folgendermaßen beschrieben:
Denn hier steht vielleicht nicht nur einer der härtesten Türsteher, hier steht eine menschliche Mauer, wie in Stein gehauen. Dornen ranken sich eintätowiert über die linke Gesichtshälfte – oder ist es eher Stacheldraht?
Und dieser Mythos vom Berghain und seiner Exklusivität, die so hart von dem beinharten Marquardt verteidigt wird, setzt sich auch in der Kommunikation fort. Ein Großteil der Alltagsgespräche, die das Berghain zum Thema haben, dreht sich um’s Abgewiesen-Werden bzw. um dessen Abwenden: das stundenlange, nervige Anstehen; die Ungewissheit, ob man denn überhaupt reinkommt oder sich umsonst stundenlang die Beine in den Bauch gestanden hat; die quälende Fragen, ob man die richtigen Klamotten trägt, mit den richtigen Leuten unterwegs ist, das richtige Auftreten an den Tag legen kann. Und dann natürlich, ob sich das alles gelohnt hat für die Party.
Irgendwie ist das doch traurig. Und widersprüchlich. Ausgrenzungsmechanismen werden vielfach und zu Recht abgelehnt. Beim Feiern gelten aber offenbare andere Maßstäbe, da möchte man lieber „unter sich“ sein bzw. auserwählt, am liebsten von Sven Marquardt persönlich. Wenn man reinkommt, darf man sich glücklich schätzen, zum engen Kreis zu gehören. Wenn man abgewiesen wird, muss man den walk of shame an der Schlange vorbei auf sich nehmen. Manche stellen sich dann sogar nochmal an, soviel Magie scheint von der Schlange auszugehen.
So viele Menschen nehmen Qualen und Gefahren auf sich, weil sie gerne nach Europa wollen, es ihnen aber von professionellen Grenzverteidigern wie der EU und Frontex verwehrt wird. Sie sind auf der Suche nach einem besseren Leben. Zugegeben, das sind die Berghainbesucher auch, die sich in die Schlange stellen, zumindest für eine Nacht lang. Aber die machen es aus freien Stücken, in ihrer Freizeit, als Teil ihres privilegierten Lebens, das sie mit dem Eintritt ins Berghain noch einen Hauch privilegierter machen können.
Letztendlich glaube ich nicht, dass es allein ein Problem vom Berghain ist. Aber es ist der berühmteste Club in Berlin, genießt weltweites Renommé, das wiederum entscheidend auf seiner harten Tür beruht. Viele weitere Berliner Clubs haben sich Exklusivität auf die Fahne geschrieben, manche wollen damit berühmt werden. Dass das Narrativ von der clubkulturellen Exklusivität auch knallharten Ausschluss von Personengruppen bedeutet, sollte aber viel stärker reflektiert werden, von den Medien, den Clubs, den Besuchern, usw. – insbesondere in einer Zeit, in der so viele Menschen auf der Flucht sind und an den Grenzen anderer scheitern.
Hi Georg,
hmm…. in der Tat, ein interessantes Argument! Die Ironie ist zugegebermaßen schon da.
Dennoch hinkt der Vergleich meiner Ansicht nach in zwei relevanten Punkten:
zum einen basiert die Ausgrenzung im Berghain nicht aufgrund einer Staatsbürgerschaft, einer Religion oder einer Hautfarbe. Zumindest gehe ich jetzt hier, vielleicht auch etwas naiv, mal davon aus. Und Ausgrenzung aufgrund von Merkmalen wie „Szene-Zugehörigkeit“, „Techno-Lifestyle“, Outfit, Verhalten, Szene-Sprache oder ähnliches, wie es ja immer wieder als relevante Kriterien zum Einlass in den heiligen Tempel genannt werden, sind nicht verfassungswidrid. Ok, es wird (so meine Erfahrung) auch das Alter als Merkmal herangezogen, da wird’s schon schwieriger. Ob das alles moralisch vertretbar ist, und ob sich nicht hinter diesen schwammigen Vorstellungen nicht auch latent rassistische oder andere diskriminierende Motive verbergen, kann ich nicht beurteilen und möchte es auch nicht unterstellen. Außerdem besteht auch noch die Möglichkeit, dass zwar kein rassistisches/diskriminierendes Motiv vorherrscht, der Effekt aber dennoch ein solcher ist.
Zum zweiten: Ein privater Betreiber wie das Berghain (Rechtsform: GmbH) hat grundsätzlich das Hausrecht auf seinen Betrieb, d.h. es steht im frei zu entscheiden, wer rein darf und wer nicht. Natürlich darf das nicht sittenwidrig oder verfassungswidrig sein, weswegen ein Verbot wg. Hautfarbe, Religion, Geschlecht etc natürlich nicht zulässig. Inwiefern nicht doch so etwas vorliegt: siehe Punkt 1.
Nichtsdestotrotz ist die Anregung, über Ausgrenzungen auch in den Clubkulturen nachzudenken, sehr gut! Danke dafür 🙂
Lorenz
Hi Lorenz, danke! Text soll vor allem mal zum Nachdenken anregen.
Natürlich nicht verfassungswidrig und Hausrecht ist auch klar, aber das ist ja ein positivistisches argument. Mir geht es um das Narrativ der harten Tür, das hier gewoben wird und das in Zeiten wie diesen irgendwie so fehl am Platz ist. Denn die Ausgrenzung findet ja trotzdem statt, wenn auch rechtlich vermutlich sauber. Weiß nicht, wie schwierig es beispielsweise für People of Colour oder Menschen mit anderer Religionszugehörigkeit ist, in bestimmte Clubs zu kommen. Gab da mal nen Artikel über einen Mann mit afroamerikanischen Hintergrund, der in bestimmte Münchner Szeneclubs nicht reingekommen ist, werd ich bei Gelegenheit mal raussuchen. Und ich finde, die Clubkultur muss sich mit Ausgrenzung als konstitutives problem auseinandersetzen, es reicht nicht der Verweis auf Rechtsformen und Verfassungsrechte.
Lieber Georg, „Ausgrenzung“ ist ein konstitutives Element eines „Clubs“, sonst wäre er *per Definition* kein Club. Ich gehe sogar noch viel weiter: Exklusion ist ein konstitutives Element des sozialen Lebens, ubiquitär und unabdingbar für soziale Organisation und Gruppen. Somit scheint mir deine Kritik etwas ins Leere zu laufen.
Und anders als eine Verweigerung der Zuflucht oder einer biographischen Perspektive durch xenophobe, kulturalistische Nationalisten ist die Aussicht auf eine menschenwürdiges und glückliches Leben durch die Verweigerung des Zutritts in einen Club für elektronische Tanzmusik in keinster Weise tangiert.
Hi Alex,
ich gebe dir in deinen Punkten recht – trotzdem: dadurch, dass etwas ubiquitär ist, wird es ja nicht einfach besser. Die Rede vom Ubiquitären trägt ja so gar noch dazu bei, dass dieser Mechanismus gestützt wird. Dass Ausgrenzung in der Clubkultur gang und gäbe ist, habe ich ja deutlich zum Ausdruck gebracht (was übrigens nicht bedeutet, dass es nicht auch inklusive Parties etc. gibt), mir geht es aber darum, wie dieses Ausgrenzungs-Narrativ vor sich hergetragen wird von bestimmten Clubs, so nach dem Motto: je exklusiver der Club und härter seine Tür, desto besser. Das scheint mir in der derzeitigen Situation absolut deplatziert. Und ich bleibe dabei, dass diese Mechanismen stärker reflektiert werden sollten (und im Idealfall aufgebrochen werden), und zwar von allen, die daran beteiligt sind: Publikum, Betreibern, DJs, etc.
Grüße, Georg